Essen. . Dietmar Düdden geht in den Ruhestand. In seiner Amtszeit hat er mit der Politik gehadert, die zu wenig auf die Zukunft ausgerichtet sei.

Der scheidende Wirtschaftsförderer Dietmar Düdden fordert von der lokalen Politik mehr Anstrengungen im Wohnungsbau. „Der Rat muss sich seiner strategischen Verantwortung für die Stadt bewusst werden. Essen muss attraktiver für die Leute werden, die neu hierher kommen sollen“, betonte der 67-Jährige im Interview.

Generell mangele es an mutigen Visionen. So habe es Essen versäumt, ein Konzept zu entwickeln, um mehr Pendler zum Umzug zu bewegen. Jeder Einwohner mehr bringe der Stadt zusätzliche Einnahmen über Schlüsselzuweisungen. Außerdem wies Düdden abermals auf dringend benötigte neue Gewerbeflächen hin.

Dieses Jahr konnte die Wirtschaftsförderung nur noch 3,5 Hektar vermitteln. Noch vor wenigen Jahren waren es über 13 Hektar pro Jahr. „Wir sind mittlerweile in einer Situation, in der wir den Unternehmen fast nichts mehr anbieten können“, so Düdden, der nach sieben Jahren Amtszeit Ende Dezember in den Ruhestand geht.

Interview: Wirtschaftsförderer Dietmar Düdden spricht über den Krupp-Gürtel und Flächenprobleme in Essen

Herr Düdden, Sie waren sieben Jahre Wirtschaftsförderer in Essen. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus?

Dietmar Düdden: Ich bin stolz auf das, was wir als Wirtschaftsförderung in den sieben Jahren geschafft haben. Wir haben unsere Arbeit stärker am Kunden ausgerichtet. Vor meiner Zeit gab es keine Erfolgskontrolle über die Arbeit der Wirtschaftsförderung. Mittlerweile haben wir eine genaue Statistik darüber.

Und die besagt?

Düdden: Um nur eine Zahl zu nennen: In meiner Zeit hat die Wirtschaftsförderung Unternehmen begleitet, die 12 300 Arbeitsplätze gesichert beziehungsweise neu geschaffen haben. Darunter sind 6900 neue Arbeitsplätze.

Bei über 242 000 Arbeitsplätzen in der Stadt relativiert sich die Zahl sicher etwas. Man hätte sich doch die eine oder andere größere Neuansiedlung in Essen gewünscht.

Düdden: Mit Brenntag, Roeser Medical oder dem Bremsbelaghersteller TMD Friction, der seine Produktion von Leverkusen ganz nach Essen verlegt, haben wir durchaus Kaliber nach Essen gebracht.

Solche Standort-Entscheidungen sind doch unternehmerische Entscheidungen. Was kann ein Wirtschaftsförderer da beeinflussen?

Düdden: Es spielt bei Standortentscheidungen durchaus eine Rolle, wo sich Unternehmen gut betreut fühlen. Es wäre aber völlig unrealistisch, wenn man auf Riesenansiedlungen aus dem internationalen Raum hofft. Wirtschaftsförderung geht nur in kleinen Schritten. Bestes Beispiel ist der Callcenter-Betreiber CCC, an dessen Ansiedlung die EWG vor ein paar Jahren beteiligt war. CCC hat sich von uns gut betreut gefühlt und so kam dann auch der Standort Essen für das Facebook-Löschzentrum ins Spiel. Jetzt hat das Löschzentrum seine Arbeit aufgenommen und es könnten in naher Zukunft bis zu 1000 Arbeitsplätze dort entstehen.

Fakt ist aber, dass Sie einem Unternehmen, gerade im produzierenden Bereich, keine Flächen in Essen mehr anbieten können. Sie haben dies zwar immer wieder bei der Politik angemahnt, aber erreicht haben Sie an dieser Stelle nichts.

Düdden: Der Rat muss sich in der Zukunft seiner strategischen Verantwortung für die Stadt bewusst werden. Essen muss attraktiver für die Leute werden, die neu hierher kommen sollen. Dazu gehört eine Wohnungsbaupolitik, die in der Vergangenheit nicht so durchgesetzt wurde, wie es notwendig gewesen wäre. Und ohne zusätzliche Gewerbeflächen wird es in dieser Stadt keine wirtschaftliche Entwicklung geben. Um sich das mal vor Augen zu führen: Wir als Wirtschaftsförderung haben in diesem Jahr bis dato dreieinhalb Hektar Gewerbeflächen vermittelt. Und das waren noch nicht einmal städtische. Bis vor wenigen Jahren haben wir pro Jahr im Durchschnitt über 13 Hektar vermarktet. Wir haben eine Situation erreicht, in der wir Unternehmen in puncto Flächen nicht mehr viel bieten können.

Was ist mit dem nördlichen Krupp-Gürtel, den die Thelen-Gruppe gekauft hat?

Düdden: Es ist ein guter Schritt, dass dort ein neues Quartier entsteht, aber nicht der Befreiungsschlag, den wir uns erhofft hatten. Die Thelen-Gruppe will Eigentümer bleiben und verkauft keine Grundstücke. Für viele Unternehmen ist das daher keine Option.

Ihre Lösung des Flächenproblems?

Düdden: Beim letzten Versuch, Gewerbeflächen einzufordern, wäre es besser gewesen, wenn man Schritt für Schritt vorgegangen wäre und nicht mit der Maximalforderung von 80 Hektar in den Stadtrat gegangen wäre. Zumal davon schon viele Flächen in der Vergangenheit abgelehnt worden waren. Zudem muss die Stadt dahin kommen, Bau-Erwartungsland selbst zu erwerben. Das Schlimme jedoch ist: Essen hat bis heute für das Flächenproblem keine Lösung. Diese Aufgabe liegt aber nicht im Verantwortungsbereich der Wirtschaftsförderung sondern bei Politik und Verwaltung.

Welche Herausforderungen sehen Sie in Zukunft noch für Essen?

Düdden: In meiner Zeit ist die Zahl der Einpendler stetig gestiegen. Es gibt aber bis heute keine Strategie, wie die Stadt so attraktiv gemacht wird, dass diese auch nach Essen umziehen. Essen braucht dringend eine Imagekampagne und da reichen ein paar tausend Euro nicht aus. Da muss man richtig Geld in die Hand nehmen. Ziel muss es sein, junge qualifizierte Leute anzusprechen. Vorher muss man sich jedoch die Frage stellen: Wofür steht Essen heute eigentlich? Das Bild der weißen Wäsche zu bemühen, die heute auf der Leine draußen nicht mehr grau wird, wie es gern in Reden getan wird, reicht nicht aus. Das geht an der Lebenswirklichkeit der Jüngeren vorbei.

Eine Werbekampagne allein wird doch aber niemanden hierher locken. Was müsste Essen tun, um attraktiver als Wohnstadt zu werden?

Düdden: Die Wasserlage ist ein Segen für Essen. Damit könnte die Stadt richtig punkten. Aber Essen hat daraus rein gar nichts gemacht. Es gibt für den Baldeneysee und die Ruhrlagen keinerlei Stadtentwicklungsplanung. Der Baldeneysee wäre der einzige Standort in Essen für ein Fünf-Sterne-Hotel und könnte auch Wohnungsbau vertragen. Ich weiß, da sind dicke Bretter zu bohren. Aber ich bin überzeugt, dass das auf das gesamte Umfeld des Sees ausstrahlen würde, wie zum Beispiel die Gastronomie, die heute der Lage überhaupt nicht angemessen ist.

Essen ist nicht nur der Baldeneysee.

Düdden: Aber das Beispiel ist symptomatisch für Essen. Wenn es schon am Baldeneysee keine Entwicklung gibt, wie soll es da an Stellen gelingen, die weitaus schwieriger sind. Im Vergleich zu anderen Städten hat sich doch in Essen in den vergangenen 30 Jahren nicht viel verändert.

Und wer trägt dafür aus Ihrer Sicht die Verantwortung?

Düdden: Es fehlt am Mut zu Visionen. Dazu gehört es eben auch, gegen den Strom zu schwimmen, sich gegen Mehrheiten zu stellen. Solange sich aber Politik und Planungsverwaltung diesbezüglich nicht einigen, wird sich hier nicht viel bewegen.

Was geben Sie Ihrem Nachfolger mit?

Düdden: Er muss weiter daran arbeiten, den Rat von seiner strategischen Verantwortung zur Stadtentwicklung zu überzeugen. Er kommt aus der Verwaltung, vielleicht hilft das im Zusammenspiel. Aber es ist, wie gesagt, nicht damit getan, wenn sich die Verwaltung darauf zurückzieht, dass die Politik entscheidet und sie nur umsetzt.