Essen. . Nach der Anti-Terror-Razzia und Spekulationen über mögliche Anschlagsziele in Essen; ein Besuch auf dem Essener Weihnachtsmarkt.

Fünf Millionen Besucher erwarten sie auch in diesem Jahr auf dem Essener Weihnachtsmarkt. Für Händler und Geschäftsleute ein Millionengeschäft, fürs Volk eine Glühwein-selige Gaudi – und, natürlich, eine enorme Werbung für die „Einkaufsstadt“. OB Thomas Kufen (CDU) weiß um das Hysterie-Potenzial, das in den aktuellen Terrorspekulationen steckt. Und lässt Dienstagmittag eine Erklärung verbreiten, die sich wie eine amtliche Entwarnung liest.

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Der Essener Albert Ritter ist nicht nur Chef des hiesigen Schaustellerverbandes, sondern auch Präsident des Deutschen Schaustellerbundes. Dankend lobt er die gute Arbeit der Sicherheitsbehörden und zugleich beschwört er die „freiheitliche Art“, wie hierzulande Karneval und Schützenfeste, Kirmessen und Weihnachtsmärkte gefeiert und genossen werde. Auch Trotz schwingt mit, als er sagt: „Wenn wir alle Zuhause blieben, würden wir uns den feigen Angriffen auf unsere Freiheit beugen – und das wäre das falsche Signal.“

Janine Frank
Janine Frank © Volker Hartmann

Wo die Essener Fußgängerzone beginnt, dort sind die Lkw-Hindernisse schon seit Tagen im Dienst: große Brocken, die blockieren. Janine Frank kann sie ganz gut sehen, wenn sie aus ihrem Weihnachtsbüdchen ein bisschen nach links schaut. „Wenn ich ständig in Angst leben würde, müsste ich jeden Tag unter der Theke sitzen“, sagt die Essenerin: „Man darf sein Leben nicht von denen bestimmen lassen.“ Von jenen Terroristen, die einen Anschlag auf diesen Weihnachtsmarkt geplant haben sollen.

Eine gewisse Gleichmut setzt ein

Und so sitzt Frau Frank auch nicht unter der Theke, sondern steht an diesem nasskalten Novemberdienstag dahinter und legt letzte Hand an die Deko: an Honiggläser, Honigkuchen, Honiggrappa. Am morgigen Donnerstag geht es hier los, doch der angeblichen Bedrohung sehen die meisten Befragten ähnlich entgegen: Mit Gleichmut, was die eigene Sicherheit angeht, gepaart mit Sorge ums Geschäft.

Benjamin Vogel
Benjamin Vogel © Volker Hartmann

„Auf gut Deutsch gesagt: Scheiße! Jetzt reicht es“, sagt der Schausteller Benjamin Vogel. Er darf schon Glühwein ausschenken, weil er zum geöffneten Lichtwochenmarkt gehört, der übergangslos in den geschlossenen Weihnachtsmarkt übergeht. „Langsam sollen die Politiker sich Gedanken darüber machen, die Frau Merkel“, sagt er. Am Weihnachtsmarkt „hängen so viele Arbeitsplätze dran, nicht nur unsere, auch der Händler in den Läden“. Vom Berliner Anschlag 2016 hat er noch gut in Erinnerung, „dass die Leute zwei Tage zurückhaltend kamen“.

Die meisten Buden sind fertig, aber überall legen sie noch Leitungen und laden Lieferwagen ab, legen Ausziehleitern an Hüttendächer und drehen Schräubchen in Lämpchen „Wir wollen das Beste hoffen, dass alle ihre Augen und Ohren offenhalten“, sagt Edmund Rennertz; der Weihnachtsmarkt sei „ein existenzieller Bestandteil unseres Geschäfts“. Während die Frau mit den Gewürzen auf dem Standpunkt steht, man sei „nirgendwo sicher“ und dürfte „gar nicht mehr rausgehen, wenn man sich davon beeindrucken lässt“. Am planmäßig verrammelten Kartoffelhaus jedenfalls grüßt schon mal ein vorauseilendes Schild: „Frohe Weihnachten wünscht das Kartoffelhausteam!“ Dagegen ist eigentlich wenig zu sagen.

Die Barrieren: Legosteine für Riesen

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Regina Ibert und Manfred Wittmer verkaufen seit 21 Jahren badischen Wein auf dem Essener Weihnachtsmarkt, ihr Stand steht direkt am Grillo-Theater in der Innenstadt, und an das letzte Jahr, den Tag nach dem Anschlag in Berlin, erinnern sie sich gut: „Da war einen Tag gar nichts los, das haben wir am Umsatz sehr deutlich gemerkt.“ Damals stellten sie ihren großen Fiat-Transporter vor ihren Stand, als Schutz, denn ein Lkw hätte theoretisch den Theaterplatz herunterdonnern und direkt in ihren Holzstand hineinrasen können. In diesem Jahr ist der Straßeneingang mit großen, grauen Betonklötzen blockiert, die aussehen wie Legosteine für Riesen. „Da kriegt man schon ein mulmiges Gefühl.“