Essen. Zwischen Enttäuschung und Ratlosigkeit schwankte die Stimmung bei der Essener CDU am Wahlabend. Lichtblick: der Südwahlkreis für Matthias Hauer.
- Erstarren bei der Essener CDU über das eigene Ergebnis und das starke Ergebnis für die AfD
- Bundestagsabgeordnete Jutta Eckenbach sagte: "Das Ergebnis hätte ich nicht erwartet, das Afd-Ergebnis ist erschütternd."
- Landtagsabgeordneter Fabian Schrumpf erklärte: "Angela Merkel bleibt Kanzlerin, aber es ist hart, wenn man so hinter den Erwartungen bleibt."
Verlieren. Das haben sie ja schon fast verlernt, bei der hiesigen CDU. Zuletzt durften sie bei Wahlen immer jubeln: bei der Bundestagswahl vor vier Jahren wie bei der Wahl des Oberbürgermeisters oder jüngst bei der Landtagswahl. Auch am Sonntagabend drängeln sich junge Wahlkämpfer in orangenen Shirts vor den Fernsehbildschirmen, zählen munter den Countdown bis 18 Uhr, bis zur Prognose – und erstarren. Von 41,5 Prozent im Jahr 2013 ist die CDU auf gut 32 abgestürzt, die AfD verbucht 13 Prozent. Diese beide Zahlen, sie bestimmen den weiteren Abend. Die Stimmung, die Gespräche, persönliche Perspektiven.
Keine fünf Minuten ist es her, dass Essens CDU-Chef Matthias Hauer sich bei seiner Truppe für einen starken Wahlkampf bedankt und in den Saal gerufen hat: „Wir haben uns selbst einen großen Applaus verdient.“ Nun spielt Hauer, nach einem Statement gefragt, auf Zeit: Man müsse erst die Hochrechnungen abwarten. Dann antwortet er doch, denkbar knapp: „Einen Grund zum Feiern haben wir sicher nicht.“ Und: „Das AfD-Ergebnis ist eine Katastrophe.“
CDU habe sich zu sehr von klassischen Werten und Positionen zurückgezogen
Eine Katastrophe, großer Mist, so ein Sch... in Variationen findet sich Hauers Urteil bei den Parteifreunden wieder. „Ernüchternd, erschreckend, erschütternd“ – sind die Adjektive, die sie in ihre ersten Einschätzungen einflechten.
Auch Ratsherr Dirk Kalweit nennt das Abschneiden der AfD ernüchternd, „aber aus meiner Perspektive nicht gänzlich überraschend“. Zu sehr habe sich seine Partei in der jüngeren Vergangenheit von klassischen Werten und Positionen zurückgezogen. Das gelte nicht allein für die Flüchtlingskrise, sondern auch für die Umweltpolitik und zuletzt die Haltung zur Homo-Ehe. Da dürfe man sich streng genommen nicht wundern, wenn sich das konservative Bürgertum abwende. „Nachdem sich Teile der AfD zuletzt in eine neo-faschistische Richtung entwickelten, hätte ich allerdings nicht gedacht, dass so viele Menschen sie wählen.“
Als Alternative für Christdemokraten mag auch der Landtagsabgeordnete Fabian Schrumpf die Alternative für Deutschland nicht sehen: „Bei dem Ergebnis kann man als Demokrat gleich welcher Partei nicht guter Stimmung sein.“ Einziger Trost sei, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibe, „aber es ist hart, wenn man so hinter den Erwartungen bleibt“.
Dreierkoalition werde naturgemäß noch zäher um Kompromisse ringen müssen
Jutta Eckenbach, die im Nordwahlkreis weit abgeschlagen hinter SPD-Mann Dirk Heidenblut liegt und zittern muss, ob sie über die Liste in den Bundestag zieht, nimmt die persönliche Niederlage mit Haltung: Sie habe ihr Bestes gegeben, aber immer gewusst, „dass wir als Abgeordnete einen Zeitvertrag haben“. Wenn es für sie nicht reichen sollte, widme sie sich in Zukunft mit Freude ihren Enkeln. Was jedoch das Gesamtergebnis angeht, beschönigt sie nichts: „Dieses Wahlergebnis zeigt, dass wir den Bürgern nicht gerecht geworden sind.“
Welche Schlüsse indes aus dem aktuellen Votum zu ziehen sind, da herrscht auch bei Jutta Eckenbach Ratlosigkeit. Sie habe als Neuling im Bundestag erleben müssen, dass die Große Koalition durch stete Kompromisse geprägt gewesen sei, „wo sich der Bürger wünscht, dass die Politik ihm einmal klar sagt, wo es langgeht“. Eine Dreierkoalition aus so unterschiedlichen Partnern wie CDU, FDP und Grünen werde naturgemäß noch zäher um Kompromisse ringen müssen, noch weniger Profil zeigen können.
Hauer findet es „bedenklich“, dass die SPD von vornherein eine Neuauflage der Großen Koalition ausschließe
Den früheren Essener CDU-Chef Franz-Josef Britz schreckt das nicht: „Ich habe damit kein Problem, wir hatten hier in Essen ja einige Jahre ,Jamaika plus’“, sagt Britz mit Anspielung auf den schwarz-grün-gelben Bund, an dem auch noch das Essener Bürgerbündnis (EBB) beteiligt war. „Man muss das auf Bundesebene nur ernsthaft versuchen.“
Matthias Hauer, der an diesem Versuch zwangsläufig beteiligt sein würde, findet es dennoch „bedenklich“, dass die SPD von vornherein eine Neuauflage der Großen Koalition ausschließe; und was Jamaika betreffe, werde nun erstmal sondiert. Dass Matthias Hauer den Südwahlkreis überraschend deutlich gewinnt, gehört jedenfalls zu den Stimmungsaufhellern an diesem trüben Abend bei der CDU. Da wird dann doch geklatscht und gejubelt. Und Hauer verspricht artig, in den kommenden vier Jahren alles zu tun, um das Vertrauen seiner Wähler zu rechtfertigen.
Vor vier Jahren ist er nach einer unvorstellbaren Zitterpartie erstmals in den Bundestag eingezogen und am Ende des Wahlkrimis feiertem sie in der Kokille eine denkwürdige Sause. Auch an diesem Sonntag geht es aus Tradition in die Rüttenscheider Kneipe, aber wie sagt Hauer: „Die Party-Intensität hängt auch vom Gesamtwahlergebnis ab.“