Essen. . Seit Jahren haben sich Essener Pflegeheime in Baustellen verwandelt. Trotzdem werden nicht alle bis August 2018 die Einzelzimmer-Quote erfüllen.
- Bis August 2018 muss es in allen Altenwohn- und Pflegeheimen mindestens 80 Prozent Einzelzimmer geben
- Bisher erfüllen mehr als 20 der 72 Essener Heime diese Vorgaben nicht. Dabei sind die Regelungen seit vielen Jahren bekannt
- Die Träger verweisen auf wechselnde rechtliche Rahmenbedingungen und die schwierige Finanzierung der Millionen-Umbauten
Trotz millionenschwerer Investitionen in den vergangenen Jahren werden voraussichtlich nicht alle Essener Altenpflegeheime rechtzeitig zum August 2018 die neuen gesetzlichen Vorgaben erfüllen. Die zuständige Heimaufsicht rechnet auch damit, dass durch die Umbauten Plätze wegfallen, die benötigt werden.
Hintergrund ist das Wohn- und Teilhabegesetz (WTG), das unter anderem vorschreibt, dass in allen Einrichtungen mindestens 80 Prozent Einzelzimmer vorhanden sein müssen. Für einige Träger bedeuten die Vorgaben eine enorme Kraftanstrengung, zumal im Jahr 2002 noch gut zwei Drittel der Essener Heimplätze in Doppelzimmern lagen. Schwierig ist vor allem die Ertüchtigung von Altbauten sowie von Immobilien, die nur gemietet sind.
Manchmal hilft nur ein kompletter Neubau
Stadtweit sei die Quote von maximal 20 Prozent Doppelzimmern bereits erreicht, sagt Johannes Potgrave von der Essener Heimaufsicht. Aber: Mehr als 20 der insgesamt 72 Heime erfüllen die neuen Anforderungen noch nicht. „Mal muss nur ein Zimmer umgestaltet werden, mal hilft ein Anbau, im dritten Fall geht ohne Neubau nichts.“
So erging es etwa dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) mit seinem 245-Betten-Heim in Freisenbruch. Angesichts der hohen Zahl an Doppelzimmern entschloss man sich zur radikalen Verkleinerung plus Neubau: Für 12 Millionen Euro ist an der Dahlhauser Straße das Seniorenzentrum Solferino mit 125 Plätzen entstanden. Hier gibt es ausschließlich Einzelzimmer – so wie es der Gesetzgeber für Neubauten vorschreibt. Trotzdem zogen im Juni nur 70 Senioren aus dem Haus in Freisenbruch ins neue Solferino, berichtet DRK-Geschäftsführer Frank Dohna. „Viele waren nicht zu einem Umzug zu bewegen – einige weil sie ihr Doppelzimmer nicht aufgeben wollten.“ Die 100-prozentige Einzelzimmerquote für Neubauten hält Dohna daher für falsch: Es gebe auch Senioren, die gern ein Zimmer teilen; und manchem Demenzpatienten tue ein Mitbewohner gut.
Gesetzliche Rahmenbedingungen waren lange unklar
Das DRK muss nun den von 245 auf 80 Plätze verkleinerten Altbau sanieren und in einem dritten Haus in Rüttenscheid die Zahl der Doppelzimmer reduzieren. So gehen allein dem DRK 45 Plätze verloren. „Dabei hatten wir stets 99 Prozent Auslastung“, so Dohna. Durch den erhöhten Anteil an Einzelzimmern werde die Zahl von jetzt 8271 Heimplätze sinken, bestätigt Johannes Potgrave. Dabei gebe es den Bedarf.
Wieso noch nicht alle Träger, die seit 2003 bekannten Vorgaben umgesetzt haben, kann Heinz-Jürgen Heiske erklären. Als Geschäftsführer bei der Contilia, die allein in Essen sieben Häuser mit gut 700 Plätzen betreibt, hat er seit Jahren bei Neu- und Umbauten auf die Einzelzimmerquote geachtet. Die Contilia sei daher gut aufgestellt – mit Ausnahme des Kloster Emmaus. Hier gibt es einen modernisierten Gebäudeteil, die Modernisierung des zweiten geriet trotz frühzeitiger Planung ins Stocken. Wegen wechselnder gesetzlicher Vorgaben – etwa zu Abschreibefristen – sei die Finanzierung zum Abenteuer geworden. Wenn man nun vier Millionen Euro für den Umbau in die Hand nehme, bleibe eine „große Unsicherheit“, ob sich das refinanzieren lasse, so Heiske. Dass nicht alle Heime rechtzeitig umgerüstet seien, „liegt auch an den lange Zeit unklaren gesetzlichen Rahmenbedingungen“.
Heimaufsicht muss mit Sanktionen drohen
Johannes Potgrave bestätigt, dass „viele Umplanungen aufgrund fehlender Wirtschaftlichkeit sowie unklarer, sich verändernder Finanzierungsvorgaben“ nötig wurden. Dennoch wird er zu Sanktionen greifen müssen, wo die Einzelzimmerquote in einem Jahr nicht erfüllt ist: „Diesen Einrichtungen untersagen wir, frei werdende Doppelzimmerplätze zu belegen.“ Er stehe mit den betroffenen Trägern im engen Austausch, informiere über Rechtsfolgen.
Bei der Gesellschaft für Soziale Dienstleistungen Essen (GSE), die in Essen sieben Heime mit 735 Betten hat, kennt man die Konsequenzen: „Im Hospital zum Heiligen Geist in Schonnebeck können wir ab August 2018 nicht mehr alle 125 Plätze belegen“, sagt GSE-Sprecherin Angela Köhler. Dort gebe es zu viele Doppelzimmer. Dabei baut die GSE ihre Heime seit Jahren um, was für die Bewohner auch belastend sei. Und: Mal wartete man zwei Jahre auf die Baugenehmigung, mal platzte ein Umzug. Für zwei Heime hoffe man nun auf ministerielle Ausnahmegenehmigungen auf Zeit.
Heimplätze in Doppelzimmern:
Jahr | Anteil an allen Plätzen |
2002 | 65 Prozent |
2008 | 44 Prozent |
2011 | 40,7 Prozent |
2017 | 33 Prozent |
>>> KOSTSPIELIGE NEUE STANDARDS
Schon im Jahr 2003 verständigte sich der Landtag auf neue Qualitätsstandards für Altenheime. Dazu zählte ein Anteil von mindestens 80 Prozent an Einzelzimmern, der bis August 2018 erfüllt sein muss. Auch muss dann jedes Zimmer über ein eigenes Bad verfügen; maximal zwei Bewohner dürfen sich ein Tandem-Bad teilen. In neu gebauten Heimen sind nur Einzelzimmer zulässig.
Laut Heimaufsicht sind aktuell stadtweit 33 Prozent der Heimplätze in Doppelzimmern. Das entspreche schon dem Anteil von 20 Prozent an Doppelzimmern. Doch die 72 Altenwohn- und Pflegeheime bei 42 Trägern sind hier unterschiedlich weit. Die Arbeiterwohlfahrt etwa hofft, in ihren sechs Heimen „mehr als nur die gesetzlichen Quoten zu erfüllen“, wie Geschäftsführer Oliver Kern erklärt. Sieben Millionen Euro hat man allein für den Umbau des Kurt-Schumacher-Zentrums in Überruhr ausgegeben. An den anderen Standorten strebe man an, „die Vorgaben zeitnah zu erreichen“.