Essen. . Befangenheitsanträge, Richter-Beleidigung und eine Saalräumung. Der Kurdenprozess um einen Brandanschlag kommt nur mühsam voran.

  • Viele Befangenheitsanträge im Prozess um Brandanschlag auf türkisches Café in Kray
  • Junger Angeklagter beleidigte eine Richterin als „Schlampe“ und „eklige Alte“
  • Einmal ließ der Vorsitzende den Saal räumen, weil Zuhörer einem Angeklagten applaudierten

Der Mammutprozess um den mutmaßlich von Kurden verübten Brandanschlag auf ein türkisches Café in Kray kommt nur mühsam voran. Eine Vielzahl von Befangenheitsanträgen, die Beleidigung einer Richterin, Zuschauerapplaus für PKK-sympathisierende Äußerungen und zahlreiche Streitereien um Nebensächlichkeiten lassen in den Hintergrund treten, worum es seit sechs Prozesstagen vor der Jugendstrafkammer geht: um Brandsätze gegen Menschen, deren einzige „Schuld“ es war, Türken zu sein.

Angestachelt von PKK-Aktivistinnen sollen die Hauptangeklagten Khoshnav S. (20) und Metin U. (24) den Plan gefasst haben, das Café mit Molotowcocktails anzugreifen und notfalls Menschen zu töten. Laut Anklage ein versuchter Mord. Den Komplizen soll Khoshnav S. gesagt haben, die Inhaber seien „national gesinnte“ Türken.

Hinterhältig Molotowcocktails geworfen

Mindestens 24 junge Kurden zogen am Abend des 4. November 2016 vor das Café an der Hubertstraße, einige schlugen Scheiben ein, warfen drei „Mollys“. Eine feige Tat. Dank der schnellen Reaktion der Menschen im Haus wurden die Brandsätze gelöscht, eine Katastrophe verhindert.

Die türkische Seite hat darauf verzichtet, als Nebenkläger am Prozess teilzunehmen. Wären die Opfer anwesend, sie hätten Entwürdigendes, Verharmlosendes erlebt. Denn es geht bisher nicht um Brandsätze und ihre tödliche Kraft, es geht um Konfliktverteidigung.

Befangenheitsanträge bisher ohne Erfolg

18 Angeklagte, 39 Verteidiger – da gibt es immer einen Anwalt, der mit dem Gericht über Formalien diskutiert oder Befangenheitsanträge stellt – mal 17 Seiten lang, mal 45. Bisher ohne Erfolg. Aber das kostet Zeit, soll die Kammer zermürben, damit sie Fehler macht. Man kennt die Taktik aus RAF-Prozessen, aus Drogenverfahren und Verhandlungen gegen PKK-Anhänger oder Islamisten.

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Als Gericht muss man das aussitzen. Das fällt nicht immer leicht. Und den jungen Angeklagten, 16 bis 24 Jahre alt, vermittelt die Konfliktverteidigung den Eindruck, ihre Anwälte hätten das Sagen. Das sorgt für Fehlverhalten.

Richterin als „Schlampe“ beleidigt

Als eine beisitzende Berufsrichterin einen Angeklagten nach Schluss der Sitzung ermahnte, er solle nicht mit einem Mitinhaftierten reden, weil das Gericht dies untersagt habe, reagierte er patzig. Sie habe ihm nichts zu sagen, soll er sinngemäß entgegnet haben. Als sie wieder zum Richtertisch ging, hörten Wachtmeister Beleidigungen: „Schlampe, eklige Alte.“

Eine Woche Ordnungshaft kassierte er. Das mag ihn angesichts von acht Monaten U-Haft und dem drohenden Urteil wegen versuchten Mordes nicht beeindrucken. Er sollte aber ahnen, dass die Kammer ihn, falls sie verurteilt, nicht unbedingt als reuigen Sünder einstufen wird.

Auch die „Döner-Frage“ beschäftigt das Gericht

Oder die „Döner-Frage“. Am Landgericht Essen gibt es in der Hauptverhandlung seit Jahren mittags kein warmes Essen für die Gefangenen. Auch das haben die Verteidiger thematisiert. Wachtmeister entdeckten zudem, dass ein Angeklagter einen Döner aß, verdächtigten den Verteidiger.

Der konterte mit einem Befangenheitsantrag gegen das Gericht. Erstens sei der Döner kein Döner, sondern eine türkische Pizza. Und zweitens hätten Angehörige sie mitgebracht. Laut Flurfunk am Gericht hieß es, der Verteidiger habe die Speise als Verteidigerpost eingeordnet, die unantastbar sei. Aber das war wohl wirklich nur ein Gerücht.

Geständnis entspricht nicht der Anklage

Aktuell befindet sich das Verfahren in der Sommerpause. Am letzten Verhandlungstag davor kam das Gericht immerhin zur Sache, der Hauptangeklagte Khoshnav S. sagte aus. Er gilt als geständig, lieferte auch einige mutmaßliche Komplizen ans Messer. Allerdings entspricht sein Geständnis nicht ganz der Anklage.

Er bestreitet jede Tötungsabsicht, die Mollys hätten nur vors Haus geworfen werden sollen. Dass sie drinnen landeten, hätten „absprachewidrig“ Wuppertaler zu verantworten, die er nicht kenne.

Nach Applaus lässt Richter den Saal räumen

Als er dann von den PKK-Aktivistinnen erzählen wollte, meldete sich sein mitangeklagter Bruder zu Wort: „Sprich nicht von der PKK.“ Das begleiteten kurdische Zuhörer im Saal mit Applaus. Richter Volker Uhlenbrock ließ ihn räumen, handelte sich dafür Verteidigerbemerkungen ein, ob denn die Öffentlichkeit des Verfahrens gewahrt sei.

Bis zum 14. August ist Pause. Erholung für all die Prozessbeteiligten, die bisher Sitzungstage von bis zu zehn Stunden Länge ertragen mussten. Selbst die Mittagspause dauert zwei Stunden, weil es Zeit braucht, 18 Angeklagte getrennt in die Vorführzellen und nachher zurück zu bringen. 50 weitere Tage sind geplant.

Verteidiger nutzt Pause zum Schwimmen

Rechtsanwalt Frank Nobis, einer der Wortführer bei Anträgen, soll die Mittagspause nutzen, um beim Schwimmen Kraft zu schöpfen. Der Iserlohner ist Triathlet.

Mit Richtern hat er seine Probleme. Dass der damals 50-Jährige im Jahr 2015 die Qualifikation zum Iron-Man in Hawaii verpasste, lastete er laut Medien der „krassen Fehlentscheidung“ eines Kampfrichters an.