Essen. Die Entsorgungsbetriebe Essen sehen sich beim Kampf gegen wilden Müll an Grenzen und wünschen sich mehr Unterstützung – von der Stadt.

  • Ausmaß an wildem Müll ist laut EBE inzwischen erschreckend. Räumtrupps kommen kaum hinterher
  • Hausmüll, Tierkadaver, Lebensmittel – selbst hartgesottene Mitarbeiter überkommt der Ekel
  • Bis zu viert Tonnen Müll pro Tag. EBE wünscht sich mehr Unterstützung: Wegräumen allein ändert nichts

Die Entsorgungsbetriebe Essen (EBE) sehen sich im Kampf gegen wilde Müllkippen an ihren Grenzen. Birgit Papenstein, stellvertretende Leiterin der Abfallabfuhr, und Unternehmenssprecherin Bettina Hellenkamp im Interview über Ursachen und Verursacher und was nun zu tun wäre.

Sie haben sich jüngst mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit gewandt; Anlass war eine wilde Müllkippe vor einem Haus an der Karlstraße in Altenessen – so abstoßend, dass es Ihren Mitarbeitern nicht nur den Atem verschlug...

Birgit Papenstein (li.), stellvertretende Leiterin der Abfallabfuhr,  und EBE-Sprecherin Bettina Hellenkamp im Interview.
Birgit Papenstein (li.), stellvertretende Leiterin der Abfallabfuhr, und EBE-Sprecherin Bettina Hellenkamp im Interview. © Socrates Tassos

Bettina Hellenkamp: Ja, wir wollten nicht länger nur auf Beschwerden reagieren. Wir sind aktiv geworden, weil wir uns an einer Grenze sehen. Es war kein Hilferuf in dem Sinne, dass wir es nicht schaffen, so etwas wegzuräumen. Wir wollten auf eine Situation aufmerksam machen, die nach unserem Eindruck immer schlimmer wird.

Die da wäre?

Birgit Papenstein: Wir stellen seit einigen Jahren fest, dass immer mehr Müll einfach abgelagert wird, besonders gerne an unseren Container-Standorten. Früher standen dort einzelne Teile herum, die dort nicht hingehören, auch immer mal wieder Sonderabfälle wie Farben und Lacke. Heute ist das Ausmaß, das wir vorfinden, erschreckend. Sie stehen fassungslos davor und es bleibt nichts anderes übrig, als einen großen Sperrmüllwagen zu rufen, weil man diese Mengen mit dem Fahrzeug, das wir sonst dafür einsetzen, gar nicht mehr wegkriegt. Es sei denn, wir fahren drei oder vier Mal hin. Es gibt Tage, an denen transportieren wir mehr als vier Tonnen wilden Müll ab.

Kommen solche Mengen denn über Nacht zusammen?

Papenstein: Nicht nur über Nacht. Ich kann Ihnen Standorte nennen, an der Kurfürstenstraße zum Beispiel oder Auf der Donau, da wird am helllichten Tag illegal Müll entsorgt...

Hellenkamp: ...und zwar in einer Art und Menge, dass man weiß, das kommt nicht von Müller, Meier, Schulze aus einem Privathaushalt, sondern aus irgendeiner Gastro-Küche.

Papenstein: Container-Standorte sind wohl deshalb so beliebt, weil wir regelmäßig hinfahren. Früher war es so, dass die Straßenreinigung solche Plätze mit sauber gemacht hat, innerhalb des normalen Reinigungsturnus. Hätten wir es dabei belassen, würde die Stadt heute im Müll ersticken.

An der Karlstraße lag die wilde Müllkippe vor einem Mehrfamilienhaus...

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Hellenkamp: Wir finden Müll an Containerstandorten, an abgelegenen Orten wie auf dem Econova-Gelände, die man gezielt ansteuern muss, und mitten auf dem Bürgersteig. An der Karlstraße war es sogar regulärer Sperrmüll, allerdings mit einem gewissen Ekelfaktor. Dass sich erfahrene Mitarbeiter übergeben mussten, heißt schon was.

Welche Art Müll finden Sie vor?

Papenstein: Jede Menge Hausmüll.

Besonders gravierend ist es immer dann, wenn Lebensmittel im Spiel sind. Oder Tierkadaver. So etwas muss dann ganz schnell weg. Da kann ich mir nicht die Zeit nehmen, um die Tour in einen vernünftigen Tourenplan einzuarbeiten. Dadurch sind die Touren nicht immer effektiv. Das gehört zur Wahrheit dazu.

Wie hoch ist der Aufwand, den Sie für die Entsorgung bereits betreiben?

Papenstein: Wir sind ein- bis zweimal pro Woche in den Revieren, dazu zählen auch die Containerstandorte. Zusätzlich setzen wir seit Februar 2016 neben unseren Transportern einen Sperrmüllwagen ein, um wilden Müll abzufahren. An ungefähr 100 Standplätzen lohnt es sich, immer wieder hinzufahren, teilweise mehrmals wöchentlich.


Illegale Entsorgung sogar am helllichten Tag

Wo sehen Sie die Ursachen für die Vermüllung?

Hellenkamp: Die Vermutung liegt nahe, dass Gewerbetreibende unsere Container-Standorte nutzen, um Abfälle loszuwerden und Kosten zu sparen. Auf dem Recyclinghof müssten sie dafür ja bezahlen. Aber es bleibt Spekulation. Viele machen es ja heimlich, weil sie wissen, dass es nicht in Ordnung ist, was sie tun.

Täuscht der Eindruck, oder ist das Problem im Norden der Stadt besonders gravierend.

Hellenkamp: Es ist im Norden, aber auch im Westen größer, etwas schwächer im Osten und noch etwas schwächer im Süden. Aber auch dort können wir Ihnen Stellen nennen, die uns als Müllabladeplatz bekannt sind.

Es ist also ein soziales Problem?

Hellenkamp: Ich tue mich schwer damit, mit dem Finger auf Leute zu zeigen und zu sagen, das sind die Schmutzfinken. Es sind ja nicht immer nur die Anwohner. Wir haben auch Mülltourismus. An der Karnaper Straße haben wir im Müll neulich viele Hinweise auf einen Gastronomiebetrieb in der Innenstadt gefunden von der Speisekarte bis zur Kartonage...

Wurde der Verursacher zur Rechenschaft gezogen?

Hellenkamp: Das wissen wir noch nicht.


Papenstein: Die Erfahrung zeigt, dass das Ordnungsamt nur dann etwas machen kann, wenn Fotos oder Videoaufnahmen vorliegen. Der Verursacher muss darauf eindeutig zu erkennen sein.

Hellenkamp: Der Müll wurde jedenfalls quasi in den Norden deportiert. Das den Anwohnern anzulasten, wäre ungerecht.

In dem Haus an der Karlstraße in Altenessen, das mittlerweile auch wegen des Mülls traurige Berühmtheit erlangt hat, leben Zuwanderer aus Osteuropa.

Papenstein: Wir hatten sogar Flyer in rumänischer Sprache ausgehängt. An der Gladbecker Straße war das Problem ähnlich. Als wir dort hinkamen, war der Innenhof eine Müllkippe. Letztendlich wurde das Haus zugemauert.

Hellenkamp: Dass Vermieter solche Zustände zulassen und damit Geld verdienen, ist sicher Teil des Problems.

EBE stößt mit Aufklärungsarbeit an ihre Grenzen


Welche Strategie verfolgen Sie?

Hellenkamp: Wir haben jede Menge Info-Material, wir gehen in Kindergärten und Schulen. Wir haben die Wohnungsgesellschaften angeschrieben, als die vielen Flüchtlinge kamen, weil wir dachten, die wissen ja nicht, was wohin gehört, und das in 13 Sprachen. Es gibt viele Informationen auf unseren Web-Seiten, aber die muss man eben aktiv anklicken. Wir appellieren auch an die Eigenverantwortung der Menschen.

Ihre Aufklärungsarbeit stößt offensichtlich an Grenzen.

Hellenkamp: Deshalb suchen wir Unterstützung. Unsere eigenen Spielräume sind begrenzt. Wir können informieren und den Müll wegräumen. Theoretisch könnten wir sagen, unsere Arbeit ist damit getan. Aber auch wir sehen ja, dass diese Müllberge nicht schön sind, dass die Lebensqualität in unserer Stadt darunter leidet. Wir könnten uns vorstellen, dass man mehr erreichen könnte, als wir alleine erreichen können.

Wessen Hilfe benötigen Sie?

Hellenkamp: Die anderer städtischer Akteure, die uns unterstützen können, wenn unsere Grenzen erreicht sind. Wir können den Müll abräumen, keine Frage. Aber diese Ordnungswidrigkeiten aufdecken und ahnden, damit eine abschreckende Wirkung erzielen oder einen gewissen Lerneffekt, das können wir nicht. Deshalb wäre es schön, Verbündete zu haben.

Das klingt abermals wie ein Hilferuf.

Hellenkamp: Wir wollen weiter unseren Job machen. Wir haben aber seit einer Weile den Eindruck, man zeigt gerne mit dem Finger auf die EBE: Ihr müsst das wegräumen. Machen wir. Aber kann das alles sein? Wollen wir zulassen, dass irgendwelche Leute mit ihrem Auto anhalten, ihren Müll abladen und unbehelligt von dannen fahren?

Ich glaube, wenn man sich über das Ziel, die Vermüllung zu reduzieren, einig würde, und sich viele zusammen finden, könnte man mehr erreichen. Wenn wir dagegen so weitermachen wie bisher und die EBE den Müll immer nur wegräumen lassen, ändert sich nichts.

Marcus Schymiczek