Essen. . Die Uniklinik Essen hat sich gegen Vorwürfe aus einem Prüfungsbericht gewehrt, der in ihrem Lebertransplantationsprogramm „schwerwiegende Rechtsverstöße“ kritisiert.
- Im Streit um das Lebertransplantationsprogramm hat die Uniklinik Essen am Dienstag zur Stellung genommen
- Demnach weist die Uniklinik die Vorwürfe des Prüfungsberichts zurück
- Fachanwalt für Medizinrecht fordert die zuständige Bundesärztekammer auf, „den Bericht sofort zu entfernen“
Nach zwei Stunden fachmedizinischen Erklärungen und juristischen Einordnungen rückte bei der Pressekonferenz der Uniklinik der Mensch in den Mittelpunkt. „Wir spüren die Unsicherheit. Die erheblichen Vorwürfe sind eine Belastung. Deshalb machen wir alles öffentlich“, erklärte Prof. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor des Uniklinikums, das Vorgehen beim Thema Lebertransplantationen.
Der Bericht der Prüfungs- und Überwachungskommission, die im Auftrag von Bundesärztekammer, Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen die Transplantationszentren überprüft, hatte im Essener Lebertransplantationsprogramm für die Jahre 2012 bis 2015 massive Richtlinien- und Rechtsverstöße diagnostiziert. Die Uniklinik konterte mit einer 177-seitigen Gegenvorstellung, einem 100-seitigen Rechtsgutachten und am Dienstag mit einer Pressekonferenz. „Wir setzen auf absolute Transparenz“, sagte Prof. Werner.
Im Bericht der Kommission finden sich drei Vorwürfe gegen die Uniklinik, die Klage gegen den Bericht prüft. Die Kommission hatte elf Fälle aus dem beschleunigten Vermittlungsverfahren kritisiert, über das jede dritte Spender-Leber vergeben wird: Dabei werden den Transplantationszentren Organe minderer Qualität angeboten. Wer schnell einen passenden Patienten präsentiert, erhält das Organ.
Bei Organen „geht es um Minuten“
„Das sind Organe, die von zehn Zentren abgelehnt wurden. Da geht es um Minuten“, erklärte Prof. Kurt Werner Schmid, stellvertretender Ärztlicher Direktor, den schnellen Zugriff. „Wir haben einen wissenschaftlichen Schwerpunkt für diese grenzwertig verwendbaren Organe. Den gibt es in Deutschland nur in Essen“, ergänzte Prof. Werner. Nach Transplantationen mit diesen Organen liegt die Überlebensquote nach einem Jahr deutschlandweit bei 81 Prozent, in Essen sind es 90 Prozent.
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Die Uniklinik habe, so der Bericht, Regeln der Patientenauswahl missachtet und andere Transplantationszentren und deren Patienten benachteiligt. Hintergrund: In Essen wurde nach dem Zugriff in 70 Prozent der Fälle der Organ-Empfänger gewechselt – was erlaubt ist. „Nach der Aufbereitung des Organs kann es zu einem anderen Patienten besser passen“, erklärte Prof. Schmid. Inzwischen ist die Wechselquote gesunken, weil der Zugriff länger geprüft wird. Dadurch wächst die Essener Warteliste. Dokumentationsmängel in diesem Bereich wurden eingeräumt, sind aber behoben.
Ex-Direktor Prof. Nagel im Fokus
Acht Organspende-Patienten, so der zweite Kritikpunkt im Bericht, hätten den in Richtlinien vorgegebene Alkoholverzicht nicht eingehalten. „Das ist eine Diskriminierung von Kranken“, kritisierte der von der Uniklinik hinzugezogene Staatsrechtler Prof. Wolfram Höfling. Prof. Martin Rehborn, Fachanwalt für Medizinrecht, wies auf ein – noch nicht rechtskräftiges – Urteil hin, dass dieses Alkoholverbot als „verfassungswidrig“ einstufe. Dritter Vorwurf: In 14 Fällen habe die Tumorgröße keine Transplantation gerechtfertigt. Die Uniklinik hatte Aufnahmen einem führenden Radiologen der Uniklinik Dresden vorgelegt. Dessen Gutachten habe die Essener Einschätzungen bestätigt. Die haben die „Mailand-Kriterien“ erfüllt, mit denen Erfolgsaussichten einer Lebertransplantation abgeschätzt werden. Kritik der Uniklinik: Die Kommission habe weitere Maßstäbe angesetzt, die aber keine Richtlinien seien.
Prof. Dieter Bitter-Suermann, Aufsichtsratsvorsitzender des Uniklinikums, nutzte die Pressekonferenz, um Prof. Eckhard Nagel, der bis August 2015 Ärztlicher Direktor war, zu attackieren. Laut Unterlagen habe die Prüfungs- und Überwachungskommission schon 2012 und 2013 Verfehlungen und Richtlinienverstöße im Lebertransplantationsprogramm dokumentiert. Dem Aufsichtsrat sei aber von Nagel gesagt worden, die Prüfungen hätten keine gravierenden Verfehlungen ergeben. „Bei uns ist nie Negatives angekommen“, sagte Prof. Bitter-Suermann. Nagel ist Transplantationsexperte. Und Schirmherr des Verbands „Lebertransplantierte Deutschland“.