Essen. Lebertransplantationen an der Uniklinik: Prüfungskommission kritisiert außergewöhnliche Verstöße. Uniklinik will Dienstag Stellung beziehen.

20 Seiten umfasst der Bericht der Prüfungs- und Überwachungskommission, der für das Lebertransplantationsprogramm der Uniklinik Essen von 2012 bis 2015 „schwerwiegende Rechtsverstöße“ auflistet. Und diese als „willentlich und systematisch“ einstuft. In einer „Gegenvorstellung“ wehrt sich die Uniklinik Essen auf 177 Seiten gegen die Vorwürfe. Am Dienstagvormittag will sie bei einer Pressekonferenz ausführlich Stellung beziehen. Bislang hat die Uniklinik lediglich Mängel bei Dokumentationspflichten eingeräumt. Diese seien aber inzwischen behoben.

Mitglieder der Kommission äußern sich

Am Montag äußerten sich erstmal Mitglieder der Prüfungs- und Überwachungskommission, die im Auftrag von Bundesärztekammer, Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen die Transplantationszentren routinemäßig und regelmäßig überprüft. Die Kommission war im Mai und im Dezember 2016 je zwei Tage in Essen, prüfte Akten der Jahre 2012 bis 2015 und fand Unstimmigkeiten und Verstöße. „Vor allem die Verstöße im Bereich des beschleunigten Verfahrens sind von der Art und Anzahl außergewöhnlich. Das gab es noch nicht“, betont Prof. Torsten Verrel (Uni Bonn), stellvertretender Vorsitzender der Prüfungskommission und Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation.


Prof. Torsten Verrel (Uni Bonn), stellvertretender Vorsitzender der Prüfungskommission.
Prof. Torsten Verrel (Uni Bonn), stellvertretender Vorsitzender der Prüfungskommission. © WAZ

Das beschleunigte Verfahren rückt an die Stelle der Standard-Vergabe, wenn der Verlust eines Spender-Organs droht. Den Transplantationszentren einer Region wird ein Organ minderer Qualität angeboten: Wer schnell einen passenden Patienten meldet, erhält das Organ. Essen griff häufig zu, wechselte dann oft den Patienten, der das Organ erhielt. Das war in 120 von 175 Fällen so, die Quote lag bei 69 Prozent und damit hoch. Sie ist heute deutlich niedriger. Hinzu kam, dass eine gemeldete Patientin beispielsweise im Türkei-Urlaub war oder Patienten, die durch ihren schlechten Gesundheitszustand nicht mehr für eine Transplantation infrage kamen.

„Es gibt zu viele eindeutige Verstöße“

„Es gibt zu viele eindeutige Verstöße gegen die Verteilungsregeln, so dass ein systematisches Vorgehen angenommen werden muss, um sich Organe zu verschaffen. Es wurden Regeln der Patientenauswahl missachtet, was andere Transplantationszentren und deren Patienten benachteiligt hat“, sagt Kommissionsmitglied Prof. Verrel.

Weitere Verstöße listet der Bericht bei der Tumor-Beschaffenheit bei Patienten auf. So sind 14 Fälle notiert, bei denen die Tumorgröße keine Transplantation rechtfertigte. Dazu finden sich im Bericht acht Fälle, bei denen bei Organ-Empfängern der sechsmonatige Alkoholverzicht nicht eingehalten wurde. „In Summe Verstöße gegen die Richtlinien in erheblichem Umfang“, so die Kommission.

Die Uniklinik betont per Mitteilung, dass „die Kommission in keinem Fall habe nachweisen können, dass ein Empfänger ein Organ zu Unrecht bekommen habe. Sie kritisiert „unzutreffende medizinische Annahmen“, „Fehler und Mängel“ und bezeichnet die Kommission als „irreguläre Kontrollinstanz“.

Gret Rinder, Vorsitzende des Prüfungskommission, reagierte erstaunt. „So wurden wir noch nie angegangen. Uns werden Fähigkeiten abgesprochen“. Gremiumsmitglied Friedrich München ergänzt: „Sinn und Zweck der Kommission hat der Gesetzgeber geregelt. Daraus leitet sich auch die Zuständigkeit ab. Es gibt keinen Grund an unserer Legitimation zu zweifeln.“

Bericht noch nicht bei der Staatsanwaltschaft Essen

In den zuständigen Ministerien in Düsseldorf, Gesundheit- sowie Wissenschaft und Forschung, ist der Kommissions-Bericht eingegangen. Bei der Staatsanwaltschaft Essen noch nicht. „Wenn er vorliegt, werden wir prüfen, ob es Anlass für die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens“, sagte am Montag Oberstaatsanwältin Anette Milk.

Konsequenzen können personeller, arbeitsrechtlicher und juristischer Art sein. Außerdem könnte die Zulassung des Transplantationszentrums überprüft werden.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte umgehend strukturelle Änderungen: „Die Verantwortung für die Organverteilung muss in staatliche Hände“, sagte Vorstand Eugen Brysch. Bislang läuft die Verteilung der Spenderorgane über die Stiftung Eurotransplant.