Essen. . Das Gymnasium Essen-Werden ist deutschlandweit das einzige seiner Art, das ein vollwertiges Abi inklusive Leistungskurs Tanz anbietet.

  • Die praktischen Prüfungen im Fach „Tanz“ fanden bereits am Montag, 3. April, statt
  • Geübt wird mehrere Stunden am Tag – nicht nur vor Prüfungen
  • Warum Tänzer fürs Leben geschult werden – auch wenn sie später einen anderen Beruf wählen

Das Gymnasium Werden ist deutschlandweit die einzige Schule ihrer Art, an der man ein vollwertiges Abitur ablegen kann inklusive Leistungskurs „Tanz“. Wie übt man dafür?

„Man lernt an jeder Bushaltestelle“, sagt eine Schülerin, während sie zwischen zwei Übungseinheiten kurz verschnauft. „Oder, wenn ich auf die S-Bahn warte. Dann gehe ich im Stehen einzelne Bewegungen nochmal durch – so, dass es nicht sonderlich auffällt.“

Lehrerin: „Ich kenne die Mädchen sehr genau“

Wir sind in einem verspiegelten Ballettsaal des Gymnasiums, es sind nur noch wenige Tage bis zur Prüfung, die bereits am Montag, 3. April, stattfand – noch vor den Osterferien. Der Leistungskurs „Tanz“ des Zwölfer-Jahrgangs erhält die letzten Instruktionen, bitte wieder aufstellen und Haltung annehmen, die Klaviermusik setzt ein: „Beim Sprung die Oberschenkel weiter nach oben! Auf Kopf- und Armhaltung achten!“ Das ruft Tanzpädagogin Danièle Schwander in den Saal, sie prüft mit genauem Blick ihre Schülerinnen. „Ich kenne die Mädchen nach den Jahren sehr genau.“

Das gute Dutzend hat eigentlich einen ganz normalen Stundenplan, ein Leistungskurs heißt Deutsch oder Mathe oder Englisch, aber der andere: Tanz. Mit den fünf Stunden Unterricht pro Woche ist es bei weitem nicht getan. „Sie üben jeden Tag bis in den Abend“, berichtet Schulleiterin Felicitas Schönau. „Schüler, die Tänzer werden wollen, sind besonders leidenschaftlich.“

Vor dem Einschlafen gehen sie ihre Bewegungen durch

Zwei Drittel der Abiturprüfung im Fach Tanz bestehen aus Praxis, ein Drittel ist Theorie. „Auch abends, vor dem Einschlafen, gehe ich meine Komposition nochmal durch“, berichtet ein Mädchen. Sie müssen fürs Abi nicht nur klassische Figuren nachtanzen, sondern auch etwas selbst Entwickeltes präsentieren. Dass sämtliche Sparten geprüft werden, klassisches Ballett sowie Modernes, versteht sich von selbst.

Schon ab Klasse fünf können Schüler in Werden das Fach Tanz belegen – als AG an einzelnen Nachmittagen, ab der Mittelstufe täglich. In der Oberstufe beginnt dann der Leistungskurs; viele Schüler mit dem Berufwunsch „Tänzer“ kommen im Laufe der Jahre hinzu. „Sie ziehen aus ganz Deutschland her“, sagt die Schulleiterin. Und die Eltern? „Sind oft gar nicht begeistert, doch die Kinder haben den unbedingten Wunsch.“ Und nehmen einen Umzug nach Essen und ein Leben im Sport- und Tanzinternat in Rüttenscheid in Kauf, entfernt von Eltern und alten Freunden.

Gefragte Tugenden werden im Ballett trainiert

„Viele unserer Abiturienten erhalten einen begehrten Platz an den Hochschulen, tanzen später in berühmten Kompanien“, sagt Tanzpädagoge Heinz Loigge, der selbst zehn Jahre aktiver Balletttänzer war. Und wenn nicht? „Dann war die Ausbildung auch sinnvoll, denn sie lernen im Fach Tanz fürs Leben.“ Dazu zählten besonders Tugenden wie Disziplin, Belastbarkeit, Kritikfähigkeit und nicht zuletzt: Haltung. „Wer sich auf den Tanz einlässt, muss gut organisiert sein. Allein wegen des großen Trainingspensums, das neben der Schule bewältigt werden muss.“

Gegen die Homosexuellen-Klischees

Und für die wenigen Jungs, die bis zum Ende dabei bleiben, gilt ganz besonders, charakterstark zu sein: „Sie müssen oft gegen die üblichen Homosexuellen-Klischees kämpfen.“ Dazu gibt es extra Einheiten in Sachen Schlagfertigkeit. Loigge berichtet: „Wenn ein Jugendlicher, der im klassischen Ballett ausgebildet wird, auf dem Schulhof mal ein paar Tricks vorführt, die andere nur vom Videoclip-Dancing kennen, dann verstummt die Häme schnell.“

So gehen Tänzer durch die Welt: Mit sehr viel Fleiß und Anstrengung, aber immer einem Lächeln auf den Lippen.