Essen. Muntere, insgesamt sachliche Debatte im Gymnasium Borbeck zu Schul- und Integrationsthemen. Unter Druck geriet AfD-Landtagskandidat Guido Reil.

Kaum etwas ist derzeit schwerer, als eine politische Debatte mit AfD-Beteiligung halbwegs gesittet über die Bühne zu bringen, wobei Aggressionen meist kein Problemen nur einer Seite sind. Umso mutiger vom Gymnasium Borbeck, dass die Schule anlässlich der Landtagswahl am 14. Mai bei einer schulinternen Podiumsdiskussion mit über 100 Schülern neben Essener Vertretern der allseits akzeptierten Parteien auch AfD-Landtagskandidat Guido Reil eingeladen hatte.

Bevor die Schüler mehr noch als die Politiker-Kollegen den AfD-Mann mit konkreten Fragen zur Migrationspolitik „grillten“, arbeitete WAZ-Redakteur Martin Spletter als Moderator erst mal die schulpolitischen Themen ab. Und da gab es einiges. Obwohl das Gymnasium Borbeck sich früh entschlossen hat, die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre (G8) zurückzudrehen, gibt es auch hier Schülerjahrgänge, die den Stoff in der kürzeren Zeit durchpaukten.

Guido Reil (AfD), Petra Vogt (CDU), Jules El-Khatip (Linke), Ralf Witzel (FDP), Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) und Thomas Kutschaty (SPD) (v.li.) diskutierten im Gymnasium Borbeck. Rechts WAZ-Redakteur Martin Spletter, der moderierte.
Guido Reil (AfD), Petra Vogt (CDU), Jules El-Khatip (Linke), Ralf Witzel (FDP), Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) und Thomas Kutschaty (SPD) (v.li.) diskutierten im Gymnasium Borbeck. Rechts WAZ-Redakteur Martin Spletter, der moderierte. © Knut Vahlensieck

„Ich habe bald Abitur und bin erst 17 – wer hat in diesem Alter die Reife, berufliche Entscheidungen fürs Leben zu treffen?“, fragte eine Schülerin. Andere klagten über zehnstündige Schultage, die manchmal bis 18 Uhr dauerten und keine Zeit mehr ließen für private Interessen.

Bei G8 ist auch bei früheren politischen Befürwortern Ernüchterung eingezogen

Bei der Politik rannten die Schüler zumindest halboffene Türen ein, längst hat G8 auch hier deutlich weniger Freunde. CDU, FDP und auch die Grünen wollen in unterschiedlichen Nuancen den einzelnen Schulen die Entscheidung überlassen, ob sie in acht oder neun Jahren zum Abitur führen. Es wäre fatal, die Schulen erneut in eine Änderungsreform zu zwingen, so CDU-Landtagsabgeordnete Petra Vogt.

Bei der SPD geht der Trend etwas klarer in Richtung eines verbindlichen G9, NRW-Justizminister Thomas Kutschaty beklagte vor allem die schlechte Vorbereitung der Schulzeitverkürzung durch die frühere CDU/FDP-Landesregierung, was nicht unwidersprochen blieb.

Reil plädierte klar für G9, und so waren sich AfD und Linke hier einmal einig: „G8 ist gescheitert, wir müssen zurück zu G9“, forderte Linken-Landtagskandidat Jules El-Khatib, der das von FDP-Mann Ralf Witzel betonte Wahl-Argument zur Farce erklärte. Bei genau 13 G9-Schulen in ganz NRW können von echter Auswahl für Eltern und Schüler keine Rede sein. Tosender Beifall der Schüler war ihm sicher.

Grünen-Politiker Mehrdad Mostofizadeh verwahrte sich gegen Reil: „Dies ist mein Land“

Nach gut einer Stunde dann der Wechsel zur Migrationspolitik, wo Guido Reil einen schweren Stand hatte. Der Karnaper AfD-Mann betonte, seine Partei habe nichts gegen „gut integrierte Migranten“, viel allerdings beispielsweise gegen Asylbewerber aus Nordafrika, die ohne echten Asylgrund nach Deutschland einwanderten, sowie Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien. All diese Zuwanderergruppen verursachten hohe Sozialkosten und würden zu oft auch kriminell. Das Problem sei vor allem eine „Ghetto-Bildung“, die Integration erschwere.

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Grünen-Landtagsabgeordneter Mehrdad Mostofizadeh, Sohn eines iranischen Vaters, empfand die Person Reil als persönlichen Angriff. „Dies ist mein Land, ich habe keine Lust, mich vor Ihnen zu rechtfertigen.“ In unterschiedlichen Schattierungen räumten zwar auch die meisten anderen Politiker ein, dass es neben erfolgreichen Migranten-Biografien auch Probleme gebe, die man weder verschweigen dürfe noch wolle. Doch ändere dies nichts an der falschen Radikalität der AfD-Forderungen, selbst wenn Reil persönlich sich von AfD-Vertretern wie Björn Höcke distanziere, was er tat.

Schüler stellten dem AfD-Mann viele kritische Fragen

Mostofizadeh warb dafür, „sich nicht an Reil abzuarbeiten“, weil dies genau das sei, was er wolle. Doch die Schüler bissen sich fest, ließen den Karnaper wissen, an einer „Schule ohne Rassismus“ wie dem Borbecker Gymnasium sei er eigentlich unerwünscht. Viele stellten konkrete Fragen, wie er sich denn eine bessere Flüchtlingspolitik genau vorstelle. Reil erklärte, es müssten rund 500.000 Flüchtlinge, die kein Recht hätten hier zu sein, rasch abgeschoben werden.

Ferner solle Deutschland potenziellen Flüchtlingen lieber in ihren Heimatländern helfen, damit sie dort selbst Wohlstand aufbauen könnten. „Mit 30 Euro pro Monat kann man da mehr erreichen als mit 2000 Euro hier.“ In Kriegsregionen wie Syrien möge man Gebiete für Flüchtlinge einrichten, die durch robuste westliche Blauhelm-Einsätze geschützt werden, sodass die Flucht übers Meer nach Europa entbehrlich sei.

Linken-Kandidat forderte, allen Flüchtlingen im Land eine Perspektive zu bieten

Linken-Vertreter El-Khatib warb hingegen dafür, allen Flüchtlingen eine Perspektive in Deutschland zu ermöglichen, und auch Kutschaty erklärte, Obergrenzen für Flüchtlinge festzulegen sei in der Praxis unmöglich und mit dem Grundgesetz unvereinbar. Eine rhetorisch begabte Schülerin mit Kopftuch und marokkanischem Hintergrund („ich zähle neuerdings ja zu den Nafris“) trieb Reil in die Enge. Das mit den 30 Euro sei Unfug. Die Zuwanderer sollten doch – wie ihr Vater – einfach ins Land gelassen werden, um dort beruflich erfolgreich zu sein und dann ihre Angehörigen im Mutterland unterstützen zu können. So sei allen geholfen.

Die Mitschüler spendeten reichlich Beifall. Und da nun immerhin schon fast zwei Stunden diskutiert wurde, kam der Moderator zum Ende. Inhaltlich näher gekommen war man sich nicht, das war auch nicht zu erwarten. Rund ein Viertel der anwesenden Schüler wird am 14. Mai zum ersten Mal wählen können. Anhaltspunkte, wo sie ihr Kreuz machen könnten, dürfte die insgesamt recht sachliche Diskussion durchaus gebracht haben.