Essen. . Michael Weskamp kann viele Geschichten erzählen. Sie enden erfolgreich, wenn Spürsinn, Erfahrung und akribische Tatort-Arbeit zueinander finden.

  • Michael Weskamp geht nach 23 Jahren beim Mordkommissariat in den Ruhestand
  • Vor dem Abschied ging’s für den 61-Jährigen noch einmal richtig rund in den vergangenen Monaten
  • Das Jahr 2016 war eins schlimmer Gewaltverbrechen: 32 Mordkommissionen ermittelten

Der Drogensüchtige hat kein Geld, aber nagelneue Markenschuhe an den Füßen. Die Ermittler können regelrecht dran riechen. Doch noch fehlt den Spürnasen der letzte Beweis, dass der Mann die Großmutter seiner Freundin in Altendorf tatsächlich erschlagen hat, um an das Ersparte des Opfers zu kommen.

Diese verdammten Schuhe. Sie lassen Michael Weskamp keine Ruhe.

Der oberste Todesermittler der Essener Polizei beauftragt eine junge Kollegin zu überprüfen, wer in den wenigen Essener Geschäften, die die Marke führen, genau dieses Modell, das der Verdächtige trägt, erstanden hat. Niemand, findet die Ermittlerin heraus, die Schuhe wurden nicht verkauft. Doch Weskamp schickt sie zurück: Sie möge doch bitte alle Kartons in den Regalen durchsuchen. Nur auf den ersten Blick ein absurder Einfall.

Ein Massaker richtete ein 33-Jähriger im Juni 2015 in Altenessen an: Er tötete seine schwangere Freundin und schnitt ihr das Baby aus dem Leib.
Ein Massaker richtete ein 33-Jähriger im Juni 2015 in Altenessen an: Er tötete seine schwangere Freundin und schnitt ihr das Baby aus dem Leib.

Denn Weskamp spürt: Er muss auf den Treffer nicht lange warten. Zwischen all der Neuware finden sich in einer Verpackung die alten Schuhe des Junkies – und an ihnen klebt das Blut der getöteten Seniorin. Obwohl er Geld erbeutet hatte, kaufte der mutmaßliche Mörder die Edelmodelle nicht. Der erfahrene Ladendieb hat sie lieber „ausgetauscht“. Das wird ihm zum Verhängnis. Er ist jetzt überführt und die junge Kollegin einsichtig: „Ich werde nie mehr zweifeln, wenn der Wessi was sagt.“

23 Jahre im Mordkommissariat, seit 2010 als Chef

Weskamp könnte viele dieser Geschichten erzählen, die erfolgreich enden, wenn kriminalistischer Spürsinn, Lebenserfahrung und akribische Tatort-Arbeit zueinander finden. Man könnte dem 61-Jährigen stundenlang zuhören. Doch dafür ist keine Zeit mehr. Sein Büro will ausgeräumt werden, er muss seine Abschiedsrunden im Polizeipräsidium und bei der Staatsanwaltschaft gegenüber drehen.

Am Freitag, 3. Februar, hat der frischgebackene Großvater einer kleinen Juna den letzten Diensttag, am Samstag beginnt für den Todesermittler ein neues Leben. Eins ohne Polizei, Blut, Leichen und Tränen. Weskamp sagt Wiedersehen – nach 23 Jahren im Mordkommissariat, dessen Chef er 2010 wurde.

Essen 2016: 32 Mordkommissionen

Mit Messer und Axt ging ein 33-jähriger Katernberger im Dezember in einer Kleingartenanlage an der Grundstraße in Katernberg auf seine Angehörigen los. Er tötete nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft seine Großmutter und verletzte seinen Stiefvater schwer.
Mit Messer und Axt ging ein 33-jähriger Katernberger im Dezember in einer Kleingartenanlage an der Grundstraße in Katernberg auf seine Angehörigen los. Er tötete nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft seine Großmutter und verletzte seinen Stiefvater schwer.

Doch der Ruhestand des Heisingers beginnt gleich mit einer Herausforderung: nach den grellroten Drehzahlen der vergangenen Wochen in seinem Kommissariat 11 die Stille Heisingens ertragen zu können. Denn das vergangene Jahr war grausam, auch was die Arbeitsbelastung anging, und das neue beginnt kaum besser: 32 Mordkommissionen musste die Essener Kripo auf die Beine stellen, während in den vergangenen Jahren jeweils rund ein Dutzend Kapitaldelikte auszuermitteln waren. Vier MKs, wie es im Fachjargon heißt, wenn mehrere Kripo-Leute intensiv an einem Fall arbeiten, sind’s schon wieder im neuen Jahr.

Schwere Gewaltkriminalität hat zugenommen

Gegen den Landestrend hat die schwere Gewaltkriminalität in der Zuständigkeit des Essener Polizeipräsidiums deutlich zugenommen. Und auch die Todesermittlungen nach Sterbefällen, die kriminalpolizeiliche Fragen aufwarfen, sind merklich mehr geworden. 1400 waren es in 2015, im vergangenen Jahr 1800. „Das Anzeigeverhalten hat sich verändert“, sagt Weskamp.

Die Menschen sind nach dem Tod eines Angehörigen offenbar argwöhnischer, als sie es früher waren. Und was die steigende Bereitschaft zur Gewalt angeht, hat der Erste Kriminalhauptkommissar seine eigene Meinung. In sozialen Brennpunkten, wo mehr geschlagen als gesprochen wird, ist die Fähigkeit, die Folgen einer Tat abzuschätzen, gering. „Da ist wahnsinnige Aggression im Spiel, ein hohes Gewaltpotenzial, das sich wiederholt.“

Weskamp erinnert sich zu gut an den so brutalen wie tödlichen Angriff zweier Jugendlicher auf einen 43 Jahre alten Pferdepfleger auf der Altendorfer Straße. Einer der 16-Jährigen verpasste dem Mann, der ihm aus dem Weg gehen wollte, einen verhängnisvollen Schlag mit dem Ellenbogen ins Gesicht. „Machtgehabe“, sagt Weskamp, „um dem Gegenüber zu zeigen, wie klein er ist.“

Oder das Gemetzel von der Grundstraße in Katernberg, wo ein 33-Jähriger im Dezember seine Oma mit Messer und Axt tötete und seinen Vater schwer verletzte. „Es gibt eine schreckliche Intensität, mit der Gewalt ausgeübt wird“, sorgt sich der Ermittler.

Weskamps Aufklärungsquote: 100 Prozent

Zu diesen und anderen Tötungsdelikten kamen der Anschlag auf den Sikh-Tempel, aufsehenerregende Geldautomatensprengungen und viele schwere Vergehen mehr – oft wussten Weskamp und seine Kollegen nicht, wo ihnen der Kopf stand. Dennoch geht der Chef mit einer Aufklärungsquote von 100 Prozent, auch dank neuer kriminalwissenschaftlicher Techniken, mit deren Hilfe die Ermittler einem Täter durch die kleinste Hautschuppe auf die Spur kommen können.

Allerdings verlässt Weskamp die Polizei nicht, ohne eine Botschaft zu hinterlassen: „Es geht mittlerweile an die Substanz der Mitarbeiter“, warnt er. Denn nach der Zusammenlegung mit Mülheim „sind wir nicht mehr geworden“. Und das ist diplomatisch formuliert.

Zweölf Todesermittler, acht Brandermittler

Zwölf Todesermittler und acht Brandermittler arbeiten in seinem Kommissariat, das nicht nur für Mord und Totschlag, sondern auch noch für Umwelt- und Waffendelikte, Geiselnahmen und Erpressungslagen zuständig ist.

Brutale Taten erschreckten selbst hartgesottene Ermittler der Kripo: Ohne Rücksicht auf ihr Opfer schlugen Jugendliche am 7. Oktober auf der Altendorfer Straße in Höhe des Hauseingangs 307 einen 43 Jahre alten Pferdepfleger so heftig nieder, dass der Mann starb.
Brutale Taten erschreckten selbst hartgesottene Ermittler der Kripo: Ohne Rücksicht auf ihr Opfer schlugen Jugendliche am 7. Oktober auf der Altendorfer Straße in Höhe des Hauseingangs 307 einen 43 Jahre alten Pferdepfleger so heftig nieder, dass der Mann starb.

Klar, gibt’s zusätzliche Leute, wenn die Arbeit absehbar nicht zu bewältigen ist. Doch einem Neuen sinnbildlich erst einmal zu zeigen, wo das Faxgerät steht, kostet Zeit, die niemand hat.

Ständig unter Dampf und zur Verfügung stehen, 36-Stunden-Schichten schieben, nachts aus dem Bett geholt zu werden, das hat dem 61-Jährigen zuletzt schon zu schaffen gemacht, auch wenn Weskamp es anders formuliert: „Es war eine erfüllte Zeit.“

Mörder von Cindy K. (noch) nicht überführt

Allerdings mit schrecklichen Erlebnissen. Die aber meint er gut verpackt zu haben. Einer der ungelösten Fälle, der fast 20 Jahre zurückliegt, aber belastet ihn bis heute: Den Mörder von Cindy K. konnte der Todesermittler nicht überführen. Der Täter erstach die junge Frau nach einem Besuch in der Oberhausener Turbinenhalle. Bis heute ist er auf freiem Fuß, doch seine DNA-Spuren sind gesichert.

„Wir hoffen“, sagt der Todesermittler mit der Überzeugung all seiner Erfahrung, „dass er irgendwann in der Datenbank auftaucht.“ Und dann haben sie ihn. Michael Weskamp wird’s hoffentlich erleben.

>> BEI DER BUNDESPOLIZEI BEGONNEN

  • 1972 fing Michael Weskamp bei der Bundespolizei an, bevor er fünf Jahre später zur Polizei des Landes wechselte und an der Alfredstraße seinen Dienst versah.
  • Später begann er mit seinem Studium, arbeitete fortan auf der Kriminalwache, wechselte dann für ein Jahr ins Düsseldorfer Innenministerium.
  • Ansonsten, sagt er, habe er ausschließlich im 1. K. gearbeitet, dem heutigen Kriminalkommissariat 11.
  • Eigentlich wollte Michael Weskamp Chef einer Raubdienststelle werden. Es sollte wohl nicht sein.