Essen. . Hauptbahnhöfe sind Treffpunkt, Wirtschaftsfaktor und Symbol für den Aufbruch. Täglich halten hunderte Züge, kommen Zehntausende Menschen vorbei.

„Ich könnte jahrelang zu Hause sitzen und zufrieden sein, wenn nur nicht die Bahnhöfe wären.“ Diesen Satz schrieb der österreichische Schriftsteller Joseph Roth. Bahnhöfe sind Orte des Aufbruchs, der Freiheit, genauso wie des Ankommens, dem Gefühl von Heimat. Der Gare du Nord in Paris oder die Grand Central Station in New York klingen nach Romantik oder Weltläufigkeit – in manchen Ohren auch nach Sehnsucht und Abenteuer.

Bahnhöfe sind aber genauso Orte des Alltags: Mittelpunkt im Leben hunderttausender Pendler, der Grund für Stress und Ärger, Kriminalitätsschwerpunkte, vielleicht die letzte Chance, an Heiligabend noch ein schnelles Geschenk zu kaufen.

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Der Essener Hauptbahnhof zählt zu größten Bahnhöfen in Deutschland und ist einer der wichtigsten Knotenpunkte in Nordrhein-Westfalen. Jeden Tag kommen hier zehntausende Menschen zusammen. Putzfrauen und Geschäftsmänner im Anzug, Obdachlose und Flüchtlinge, abgehetzte Pendler und Reisegruppen auf dem Weg in den Kurzurlaub, Studenten, Schüler und ihre Lehrer, Drogendealer und ihre Käufer. Sie alle laufen über den selben Bahnsteig, nehmen die selbe Rolltreppe. Zwischen S-Bahn, ICE und Infotafel treffen menschliche Gegensätze und Geschichten aufeinander. Ein Spiegelbild der Gesellschaft.

Treffpunkt der Gegensätze

Große Bahnhöfe und Züge sind seit jeher dem Wandel unterlegen. Im 19. Jahrhundert war die Eisenbahn der Motor der Industrialisierung. In Essen wurde das erste bescheidene Empfangsgebäude schnell durch einen pompösen Bau ersetzt. Die Städte wuchsen um den Bahnhof herum, er selbst wurde zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mittelpunkt, zum Eingangstor vieler Städte.

Der Essener Hauptbahnhof in Zahlen

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Minuten dauert die Fahrt vom Hauptbahnhof zum S-Bahn-Halt Essen West. Kein Bahnhof ist näher dran am Hauptbahnhof. 609 Minuten im ICE sind es hingegen zum Hauptbahnhof in Wien, dem am weit entferntesten von Essen ohne Umsteigen erreichbare Ziel.

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Eisenbahnverkehrsunternehmen fahren den Hauptbahnhof derzeit an: DB Regio, Abellio und die Nordwestbahn im Regionalverkehr, DB Fernverkehr, Thalys und der Hamburg-Köln-Express (HKX) im Fernverkehr. In diesen Markt kommt in den nächsten Jahren ordentlich Bewegung.

5700

Quadratmeter Vermietungsfläche gibt es insgesamt im Hauptbahnhof. Im Vergleich mit Köln (11.500 Quadratmeter), Düsseldorf (9928 Quadratmeter) und Dortmund (9693 Quadratmeter) steht Essen deutlich zurück.

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Mieter hat der Bahnhof derzeit – von der Bahnhofsbuchhandlung über mehrere Bäcker bis zum Schnellrestaurant. Mit Starbucks, McDonalds oder Subway findet man die typischen Gastronomie-Ketten, zu den Besonderheiten gehört die Filiale des Discounters Lidl, auch die Drogeriekette DM hat dort eine Niederlassung. 

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Kassen gibt es in der Lidl-Filiale, 54 Mitarbeiter arbeiten dort, 1600 Produkte sind im Angebot. Mehr will die Pressestelle des Unternehmens nicht über das Geschäft verraten.

0

Bahnhofskneipen gibt es im Hauptbahnhof. Die Traditionskneipe „Bierfass“ mit ihrer rustikalen Eichenholzeinrichtung überlebte den Umbau zur Kulturhauptstadt nicht, passte nicht mehr ins Konzept.

170 000

Besucher hat der Essener Hauptbahnhof am Tag. Gemessen an dieser Zahl gehört er zu den zehn größten in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen zählen lediglich die zentralen Bahnknotenpunkte in Köln (280.000) und Düsseldorf (250.000) mehr Besucher.

81 Prozent

der Deutsche-Bahn-Kunden denken beim Stichwort Bahn zuerst an den Bahnhof. Das hat zumindest eine Kundenumfrage der Bahn ergeben. Demnach ist der Bahnhof der Identifikations-Faktor Nummer eins für Zugreisende, deutlich vor dem ICE.

55

Bahnhöfe werden insgesamt vom Bahnhofsmanagement Essen betreut. Dazu gehören insgesamt 26 Bahnhöfe auf Essener Stadtgebiet, zuvorderst der Hauptbahnhof. Hinzu kommen unter anderem die Hauptbahnhöfe in Bochum, Gelsenkirchen, Wanne-Eickel oder Witten. Das Bahnhofsmanagement kümmert sich um Organisation und Service.

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Millionen Euro hat der Umbau des Hauptbahnhofes rechtzeitig zum Kulturhauptstadtjahr 2010 gekostet. Gearbeitet und saniert wurde insgesamt 16 Monate lang.  Zum Vergleich: Für die im kommenden Jahr beginnende Modernisierung des Duisburger Hauptbahnhofes sind rund 150 Millionen Euro veranschlagt.

24

Stunden am Tag ist der Bahnhof für die Öffentlichkeit zugänglich. Es halten auch die gesamte Nacht über Züge im Bahnhof. Wer mitten in der Nacht Hunger verspürt: Das McDonalds-Restaurant schließt seine Türen nie.

800

Züge im Linienverkehr halten durchschnittlich am Bahnhof – und das jeden Tag: 400 S-Bahnen, 220 Regionalzüge und 180 Fernverkehrszüge.

664

Meter misst der längste Bahnsteig in Essen - der Bahnsteig an Gleis 4. Essen ist damit in der Rangliste der längsten Bahnsteige in Deutschland weit vorne, angeblich hat Mainz den längsten mit über 700 Meter. Zum Vergleich: Der neue ICE 4 ist 346 Meter lang.

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Gleise gibt es im  Hauptbahnhof insgesamt. Gleis drei hat keinen Bahnsteig, acht Gleise sind Durchgangsgleise, außerdem gibt es fünf sogenannte Stumpfgleise. Diese Gleise enden am Hauptbahnhof. Die abgetrennten Seitenbahnsteige 21/22 weichen von der durchgehenden Nummierung ab. Die Bahnsteige 13 bis 20 fehlen deshalb komplett.

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Stellwerke im Stadtgebiet sind ständig besetzt. Neben dem am Hauptbahnhof  noch die in Steele und Altenessen. Vom großen Stellwerk aus wird nicht nur der Bahnhofsverkehr gesteuert, sondern unter anderem die S6-Strecke bis Ratingen.

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Jahre musste die Essener Bundespolizei darauf warten, wieder in den Bahnhof einziehen zu können. Während des Umbaus wurde die Wache 2009 an die Herkulesstraße verlegt, 800 Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Eigentlich war der Rückumzug früher geplant, doch weil eine bei den Arbeiten beteiligte Firma pleite ging, verzögerte er sich bis Juli 2016.

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Nach dem die Bahnhöfe nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut wurden, genossen sie vielerorts zunehmend einen zweifelhaften Ruf – auch weil die Politik den Bahnverkehr als zweitklassig abstempelte – und die Bedeutung des Autos stark zunahm. Erst in den achtziger Jahren entdeckten Städte und Bahn die vernachlässigten Stationen als die Visitenkarten der Metropolen wieder und kümmerten sich nach und nach um deren Modernisierung. Bis der Essener Hauptbahnhof nach seinem allmählichen Verfall wieder vorzeigbar wurde, sollte es allerdings noch bis Jahr 2010 fertigestellten Umbau dauern, pünktlich zum Start in das Kulturhauptstadtjahr.

Geschichten und Begegnungen

Wer heute die Eingangshalle in Essen betritt und sich darin umblickt: sieht ein Schnellrestaurant neben dem anderen, Supermärkte, ein Seifengeschäft, einen Klamottenladen, einen Blumenhändler. Der Bahnhof ist zu einem kleinen Einkaufszentrum mutiert, 365 Tage im Jahr geöffnet. Es finden regelmäßig Ausstellungen im Erdgeschoss statt, sogar Comedy-Veranstaltungen hat es hier schon gegeben. Man könnte fast meinen, die eigentliche Funktion eines Bahnhofes tritt mittlerweile in den Hintergrund – aber natürlich können die Stationen nur dann Einkaufszentrum und Wirtschaftsstandort sein, wenn der Verkehr rollt. Alle paar Sekunden fährt irgendein Zug hier ein, Menschen steigen aus und ein. Es herrscht ständige Bewegung, 24 Stunden am Tag.

Ob ein doch recht glanzloser, funktioneller Bahnhof wie der Essener, für Joseph Roth ein Grund gewesen wäre, sein Wohnzimmer zu verlassen? Immerhin könnte sich der Schriftsteller jeden morgen um 7.49 Uhr auf Gleis 1 begeben und in den Fernzug nach Paris einsteigen. Endstation: Gare du Nord. Müsste er aber nicht. Am Essener Hauptbahnhof passieren so viele Geschichten und Begegnungen, für die es sich lohnt, aus dem Haus zu gehen.

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