Essen. Michael Osamudiamen ist das erste Kind, das 2016 in Essen zur Welt kam. Ein Jahr später lebt er mit seiner Mutter noch immer im Flüchtlingsheim.

Wenn in dieser Silvesternacht das Feuerwerk den Himmel über der Stadt erhellt, hat der kleine Michael Osamudiamen besonderen Grund zum Feiern: Um 0.16 Uhr wird er genau ein Jahr alt. Michael ist das erste Baby, das 2016 in Essen zur Welt kam. Gleichzeitig spiegelt sich in seinem Schicksal ein Stück Weltgeschichte: Seine Mutter Loveth Benson kam als Flüchtling aus Nigeria nach Deutschland, in der Hoffnung auf ein besseres, sicheres Leben.

Für ihren Sohn begann dieses Leben bestens versorgt im Elisabeth-Krankenhaus, wenige Tage nach der Geburt aber mussten Mutter und Kind zurück in die Flüchtlingsunterkunft im Opti-Park im Westviertel ziehen. Dort tauchten bald zwei Schutzengel auf, die Loveth Benson und ihren Sohn bis heute begleiten. Ein Rentnerehepaar aus Heisingen hatte unseren Bericht über das Neujahrsbaby gelesen und beschlossen: „Irgendjemand muss sich um die beiden kümmern.“

Loveth Benson am Neujahrstag 2016 mit ihrem neugeborenen Sohn Michael Osamudiamen, der im Essener Elisabeth-Krankenhaus zur Welt kam - mit einem Gewicht von 3270 g und einer Größe von 54 cm.
Loveth Benson am Neujahrstag 2016 mit ihrem neugeborenen Sohn Michael Osamudiamen, der im Essener Elisabeth-Krankenhaus zur Welt kam - mit einem Gewicht von 3270 g und einer Größe von 54 cm. © Kerstin Kokoska

Zigmal sind sie seither ins Flüchtlingsheim gefahren, haben Windeln oder Spielzeug gebracht, zahllose Behördengänge haben sie mit der Mutter absolviert, Amtsdeutsch für sie übersetzt. Namentlich erwähnt werden möchten die beiden nicht, das Lächeln von Michael, die per Whats-App verschickten Fotos und Segenssprüche von Loveth Benson sind ihnen Dank genug. Und die 36-Jährige weiß, was sie an den beiden hat: „Sie sind so lieb!“

Jetzt macht der kleine Michael erste Gehversuche

Eine weitere anonyme Helferin hat sie gelegentlich mit Geld beschenkt, damit sie warme Sachen für Michael kaufen kann oder seine ersten Schuhe. Im Advent haben die drei guten Geister ihre Schützlinge zum Kaffeetrinken eingeladen und einen munteren Michael erlebt, der krabbelnd das Café erkundete. Auch zaghafte Gehversuche mache er schon, berichtet Loveth Benson: „Er zieht sich hoch, macht einen Schritt – und dann fällt er hin.“

Viel Raum für seinen Bewegungsdrang hat Michael nicht, denn er lebt noch immer in einem Flüchtlingsheim. Vom Opti-Park waren er und seine Mutter im Mai in das Zeltdorf Bonifaciusstraße in Schonnebeck verlegt worden, wo sie sich in einem Verschlag zwischen Stellwänden und Vorhang einrichten mussten. Nach wenigen Tagen sorgte die Stadt dafür, dass sie in eine feste Unterkunft an der nahegelegnen Karl-Meyer-Straße umziehen konnten. Ihr Zimmer dort ist mit Dusche und Kochecke ausgestattet. „Es ist viel besser als vorher“, lobt die Mutter. „Nur fehlt Michael der Platz, um sich zu bewegen, um zu spielen.“

Bisher hat die Familie keine eigene Wohnung gefunden

Die netten Heisinger haben einiges unternommen, um eine Wohnung für Mutter und Baby zu finden. „Aber es ist schwierig, zumal sie ja auf eine niedrige Miete angewiesen sind, die das Sozialamt auch übernimmt.“ Andererseits sind sie erleichtert, dass Loveth Benson überhaupt in ein eigenes Zuhause ziehen darf: Das ist erst möglich, seit Mitte des Jahres entschieden wurde, dass sie und Michael in Deutschland bleiben dürfen.

Nun möchte sich die 36-Jährige, die in Nigeria Kleider genäht hat, eine Existenz aufbauen. Noch nutzt sie im Asylheim die Zuverdienstmöglichkeiten, reinigt Böden und Toiletten. „Aber am liebsten wäre ich Sozialarbeiterin“, sagt sie. Ein ehrgeiziges Ziel – sie weiß, dass jede Ausbildung, jedes Studium gute Deutschkenntnisse verlangen. Ihr Kurs in einer Sprachschule lief nach einem halben Jahr aus, nun besucht sie zweimal die Woche den Unterricht im Heim. Aufgehoben und zu Hause fühlt sie sich in ihrer christlichen nigerianischen Gemeinde, aber sie ahnt, dass mehr Kontakt zu Deutschen hilfreich wäre: „Dann kommen die Worte schon.“

Zwei ältere Kinder leben noch bei der Oma in Nigeria

Auch Michael lernt jetzt erste Worte, allen voran natürlich „Mama“. Wenige Tage hat er auch einen Kindergarten besucht, so kurz, dass er nur eine Vokabel mitbrachte: „Nein“. Und die Erzieherinnen rieten vom so frühen Besuch der Kita ab, Michael solle lieber wiederkommen, wenn er zwei Jahre alt ist. „Aber dass er gerade jetzt im Winter nur die paar Quadratmeter im Heim hat, wo auch die Betten und die Küchenzeile stehen, ist traurig“, finden die Heisinger, die Michael und seine Mutter ab und an zu Ausflügen einladen. Unverzagt hoffen sie, dass sich ein Vermieter findet, der eine Wohnung für die kleine Familie hat.

Das ist auch der vordringlichste Wunsch, den Loveth Benson für das neue Jahr hat. Ihr Herzenswunsch aber ist, dass sie auch ihren großen Sohn (11) und ihre Tochter (4) nach Deutschland holen kann. Das gehe erst, wenn sie hier eine Arbeit hat, eigenes Geld verdient. Bis dahin leben die Kinder, denen sie die gefahrvolle Flucht nicht zumuten wollte, bei der Oma, halten Kontakt nur über Whats-App-Nachrichten. „Ich bin froh, dass Michael hier in Sicherheit aufwächst, ich wünschte mir nur sehnlichst, dass seine Geschwister mit uns leben könnten.“