Essen. . Josef Vitzthum leidet an Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Er muss bald sterben. Im Huyssensstift wird er auf seinem letzten Weg begleitet.

Josef Vitzthum erinnert sich noch gut an die Begegnung in der Schlange an der Kasse bei Aldi. Erst Unruhe. Dann Hektik. „Jetzt machen Sie mal hin. Ich habe keine Zeit“, moppert und mosert die ungeduldige Frau gleich hinter dem 56-Jährigen. Der antwortet schlagfertig: „Ich habe Krebs. Ich werde bald sterben. Ich habe noch weniger Zeit als Sie.“ Für eine Sekunde herrscht Totenstille. Dann geht das Leben weiter. Wie lang sein Leben weitergeht, das kann Josef Vitzthum nicht sagen.

Josef Vitzthum leidet an metastasierendem Unterleibskrebs im weit fortgeschrittenen Stadium. Er hat eine „eingeschränkte Lebenserwartung“, sagt Anja Dickmann, Oberärztin an den Kliniken Essen-Mitte. Vitzthum ist todkrank. Es geht nicht um Monate, sondern nur noch um Wochen oder Tage. Der 56-Jährige wird zu den rund 9000 Menschen gehören, die 2016 in Essen sterben.

„Der Tod ist eine Art Freund geworden, der jeden Tag neben mir sitzt“

Der Krebs wurde bei ihm spät diagnostiziert. Nicht zu spät für eine Therapie, die für seinen Unterleib eine Totalräumung bedeutet hätte. „Das wollte ich nicht. Weder Chemo noch Operation“, sagt er. „Der Tod ist eine Art Freund geworden, der jeden Tag neben mir sitzt. Er hat für mich den Schrecken verloren.“ Vielleicht weil er so nah, so unabwendbar ist.

Schwerkranke und ihre Lebensqualität

In der Tagesklinik der Klinik für Palliativmedizin und Institut für Palliative Care an den Kliniken Essen-Mitte wurden seit Januar rund 300 Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen behandelt und Therapiekonzepte entwickelt, um ihnen eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen und einen stationären Aufenthalt zu vermeiden. Hierzu gehören die Linderung von Schmerzen und weiterer quälender Symptomen.

Die Vorbereitung und Begleitung schwieriger Entscheidungssituationen gehören zu dem in Essen einzigartigen tagesklinischen Angebot. Auch Patienten, die vorerst keine eingeschränkte Lebenserwartung haben, finden Hilfe. Fachübergreifend stehen Physiotherapie, Logopädie, Psycho-Onkologie, Sozialarbeit, Heilpädagogik, Ernährungs- und Hilfsmittelberatung, Palliativfachkräfte und Kunsttherapie sowie Seelsorge zur Verfügung.

Darüber hinaus wird auf therapeutische und diagnostische Möglichkeiten der Kliniken Essen-Mitte zurückgegriffen. Anmeldung und Einweisung über Haus- oder Facharzt oder das Krankenhaus. Info unter der Telefonnummer 174 24 355 oder im Internet: www.kliniken-essen-mitte.de

Josef Vitzthum sagt, dass er sein Leben gelebt hat. Lange intensiv und exzessiv und auf Kosten seines Körpers, Er war Alkoholiker, „ganz unten“. Er raucht bis heute, hat aber, sagt er stolz, seit dem „13. März 2006 keinen Tropfen Alkohol getrunken. An dem Tag habe ich noch mal angefangen zu leben, mich lebendiger denn je gefühlt.“

Er spürt, wie der Krebs in ihm wächst

Als die Krebsdiagnose kam, verdunkelten sich seine Gedanken wieder: Selbstmitleid, dann Suizid. All das hat Josef Vitzthum hinter sich gelassen. Was im Kopf möglich ist, schafft sein angegriffener Körper nicht mehr: Er spürt, wie der Krebs in ihm wächst. Er ist schwach, oft müde, hat ständig Schmerzen. „Ich sehe aus wie ein Todeskandidat.“

In der Klinik für Palliativmedizin und Institut für Palliative Care im Huyssensstift ist er jeden Mittwoch in ambulanter Behandlung. Er erhält Medikamente, die seine Leiden lindern. Behandlungen, die es ihm ermöglichen, Zuhause zu bleiben. Sein Rest Kontrolle und Selbstbestimmung. Zuhause möchten 60 Prozent der Deutschen ihre letzten Stunden verbringen. Aber fast 80 Prozent sterben im Krankenhaus oder im Pflegeheim.

Josef Vitzthum versucht seinen letzten Herbst zu genießen

Hospiz lädt ins Trauercafé

Wer einen Menschen verloren hat, der einem sehr nahe stand, der braucht und sucht häufig Trost und ein offenes Ohr. Beides finden Besucher im Trauercafé, zu dem das Hospiz Steele am Montag, 21. November, ab 15 Uhr in die Akademie am Steeler Berg, Hellweg 94, einlädt.

Beim Trauercafé handelt es sich um ein offenes Angebot, ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter heißen Menschen willkommen, die sich in der Trauerphase befinden. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Nähere Informationen gibt es unter der Telefonnummer 805 27 03.

„Wir wollen Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten Lebensqualität erhalten“, erklärt Oberärztin Anja Dickmann. Zum Angebot gehören auch Gespräche oder Kreativtherapien. Josef Vitzthum nutzt Fotos, um sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Er entspannt bei Musik und Meditation, verbringt viel Zeit mit seiner Freundin, würde mit ihr gerne noch einmal nach Wangerooge fahren.

Im Sommer hat er seine Beerdigung auf einem Essener Waldfriedhof organisiert. Er glaubt an die Wiedergeburt. Der Tod kann kommen. Bis dahin versucht er seinen letzten Herbst zu genießen, macht abends eine Inventur und fragt sich: „Was hätte ich besser machen können?“ Das versucht er am nächsten Tag besser zu machen. Wohl wissend, dass es diesen nächsten Tag bald nicht mehr geben wird.

Krebspatient Manfred Busch: „Ich will weiterleben, deshalb kämpfe ich jeden Tag“ 
Dr. Heike Knipp, Leitende Ärztin der Abteilung Hämatologie und Onkologie im Alfried-Krupp-Krankenhaus in Rüttenscheid, mit Manfred Busch.
Dr. Heike Knipp, Leitende Ärztin der Abteilung Hämatologie und Onkologie im Alfried-Krupp-Krankenhaus in Rüttenscheid, mit Manfred Busch. © Ulrich von Born

Zwischen dem Anfang und dem Ende des Lebens liegen im Alfried-Krupp-Krankenhaus in Essen-Rüttenscheid nur wenige Meter. Vor dem Eingang der Klinik unterhalten sich lächelnde Mütter mit ihren gerade geborenen Babys auf dem Arm oder im Kinderwagen. Gegenüber, im Ärztehaus, hat die Hämatologie und Internistische Onkologie ihre Räume. Hier werden Patienten „mit bösartigen Erkrankungen“ behandelt.

Wie Manfred Busch. Der 65-Jährige hat Krebs. Darm und Leber sind befallen. Eine Heilung ist so gut wie ausgeschlossen, hieß es bei der Erstdiagnose. „Ein, zwei Jahre wurden mir gegeben“, erinnert er sich. Das war 2010. „Sechs schöne Jahre hatte ich seitdem. Ich kann mein Leben, trotz Einschränkungen, gut leben. Und ich kämpfe jeden Tag, dass es so bleibt“, sagt der Unternehmensberater aus Oberhausen. Er lächelt selbstbewusst. Manfred Busch war nicht immer so zuversichtlich. „Nach der ersten Diagnose wurde mir bewusst, dass meine Zeit begrenzt ist. Da hatte ich Ängste, spürte Unsicherheit. Es gab immer wieder kritische Situationen.“

Viele Gespräche mit Ärzten – und der Familie

„Einmal in der Krise, entsteht der Bedarf nach individuellen Lösungen“, heißt der Leitsatz seiner Unternehmensberatung. Und genau den wendete Manfred Busch in der gefährlichen Lebenskrise auf sich selbst an. In der intensiven wie anstrengenden Therapie im Alfried-Krupp-Krankenhaus in Rüttenscheid: Operation, Chemotherapie, künstlicher Darmausgang, erneut Chemotherapien, wieder ein Eingriff. Dazu ständig Medikamente. Manfred Busch war tumorfrei. Es gab Therapiepausen. Die Metastasen kamen zurück in die Leber. Erneut Chemotherapie. Dazu eine Gallengangentzündung mit Gelbsucht. Es ging abwärts. Aber dann immer wieder aufwärts. Und weiter.

Zur Behandlung gehörten viele Gespräche mit Dr. Heike Knipp, der Leitenden Ärztin der Abteilung Hämatologie und Onkologie. „Wir haben immer offen den Krankheitsverlauf diskutiert, teilweise auch kontrovers“, sagt Manfred Busch. „Es ist ein intensives und partnerschaftliches Arzt-Patientenverhältnis auf Augenhöhe“, sagt die Medizinerin. „Wir wollten bei Herrn Busch Zeit gewinnen und dabei die Lebensqualität erhalten. Das ist uns gelungen.“

Vorfreude auf das Enkelchen, das im Dezember kommt

Geholfen hat ihm in schwierigen Momenten auch immer wieder seine Familie. Viele Gespräche mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern. „Ich hatte immer ein Ziel: Weiterleben“, sagt er. Ein Freund hat 17 Jahre gegen den Krebs gekämpft. „Wenn man aufhört zu kämpfen, gewinnt der Krebs“, hat Manfred Busch gesehen. Geholfen hat er sich auch selbst. Weniger Arbeit, weniger Stress, weniger Verpflichtungen. Mehr Leben. Mal ein spontaner Ausflug nach Paris. Die Vorfreude auf das Enkelchen, das im Dezember kommt.

„Ich weiß nicht, wieviel Zeit ich noch habe. Aber ich will diese Zeit genießen“, sagt Manfred Busch und schaut zufrieden. Und nach vorne.