Essen. Seit einem Jahrzehnt verkaufen die Kirchen einen Teil ihrer Gotteshäuser. Wenn sie nicht abgerissen werden, soll die Nutzung akzeptabel sein.

Das Weihwasserbecken ist leer. Blaues Licht erhellt den Raum. An den Seiten strahlen Sofas ein „Lounge feeling“ aus. Was bis 2008 „St. Mariä Geburt“ hieß, nennt sich heute „Lighthouse“. Im Jahr 2011 kaufte das evangelische-freikirchliche Sozialwerk Essen das Gebäude an der Margaretenstraße in Frohnhausen. Seitdem will der Geschäftsführer Harald Sadowski mit dem Lighthouse die Menschen mit „kulturellen Dingen“ verbinden: Vom Kammerkonzert bis zum Rockkonzert, vom Treffen der Kommunalpolitik bis zum Jugendgottesdienst darf hier alles stattfinden.

1999 begann das Bistum Essen, Kirchen zu verkaufen

Diese Umnutzung zeigt: Die Stilllegung einer Kirche bedeutet nicht ihr Ende. Es gibt vielefältige Nachfolgeprojekte. Oft schließen diese an die Botschaft an, die einst in dem Sakralbau gepredigt wurde: So war es auch kürzlich bei einem Jüngerschaftskongress: Prediger aus Brasilien und Portugal sprachen darüber, wie man tiefe Beziehungen zu Gott herstellen und Menschen für das Evangelium begeistern kann.

Im Jahr 1999 hat das Bistum Essen damit begonnen, Kirchen zu verkaufen. Der große Ausverkauf setzte erst 2006 ein. „Seitdem wurden 104 Gemeindehäuser und Kirchengebäude aufgegeben“, erläuterte Magdalena Twarowska, Beauftragte für Immobiliennutzung des Bistums Essen.

Warum im Ruhrgebiet so viele Kirchen gebaut wurden

Eine von ihnen ist die entweihte Kirche St. Peter in Altenessen-Süd, in der Rober Bicker bis 2007 aktiv war. Nach welchen Kriterien sich die katholische Kirche von ihren Gebäuden trennt, ist für ihn unklar. Ein Jahr nach dem Schlussgottesdienst zog in St. Peter die Katholische Schule für Pflegeberufe ein. Schulleiter Reinhold Schulte-Eickholt weiß: „Das Bistum schaut sich die Entwicklung der Gemeinde und die Gottesdienstbesuche an.“ In St. Peter waren sie zuletzt sehr gering.

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Die meisten Kirchen, die heute aufgegeben werden, wurden in den 1950er und 1960er Jahren gebaut. Das lag nicht nur an den zwölf Millionen Vertriebenen, die zum Teil auch ins Ruhrgebiet kamen, sondern im Raum Essen hatte der Bauboom noch einen anderen Grund: Laut Twarowska deutete sich bereits Ende der 1950er Jahre ein Schwund von Kirchenmitgliedern an. Die Kirchenleitung entschied sich deshalb dazu, mehr Kirchen zu bauen und damit die Dichte sakraler Bauten zu erhöhen – in der Hoffnung, dass sich so die Bindung der Mitglieder an die Kirche stabilisiert.

Angesichts sinkender Gottesdienstbesucherzahlen und dem großen Renovierungsbedarf der Nachkriegsbauten müssen viele einfach augegeben werden. Hinzu kommt, dass das Bistum Essen seit seiner Gründung 1958 nie wirklich vermögend war, sagt Twarowska.

Selbst in entweihten Kirchen darf der Käufer nicht alles veranstalten

Nicht alle Kirchengebäude, die verkauft und dann anderweitig genutzt werden, müssen entweiht werden. So gibt es im Bistum Essen sieben Kirchen, die nach dem Verkauf durch die katholische Kirche von einer anderen Religionsgemeinschaft genutzt werden. Fast alle sind jetzt in der Trägerschaft der orthodoxen Kirche.

Als die katholische Schule für Pflegeberufe noch eine Kirche war: Robert Bicker (vorne, rechts) und Reihnhold Schulte-Eickholt schauen gerne zurück.
Als die katholische Schule für Pflegeberufe noch eine Kirche war: Robert Bicker (vorne, rechts) und Reihnhold Schulte-Eickholt schauen gerne zurück. © Steiger

Selbst in entweihten Kirchen darf der Käufer nicht alles veranstalten: „Es dürfen nur Nutzungen stattfinden, die nicht den Werten der Kirche zuwiderlaufen“, betont Twarowska und fügt hinzu: „Eine kirchennahe Nutzung hat Priorität eins“. Ein Kriterienkatalog lege fest, welche Arten der Folgenutzung möglich sind.

Auch die evangelische Kirche möchte in ihren aufgegebenen Gebäuden keine Supermärkte und Bordelle haben: „Ja näher die Nutzung am einstigen Zweck der Kirche dran ist, desto eher wird sie genehmigt“, weiß Jans Peter Iven, Pressesprecher der Rheinischen Landeskirche. Bei Weiterverkäufen regelt eine Klausel die Art der Gebäudenutzung.

Katholiken aus der Umgebung besuchen auch das „Lighthouse“

Das „Lighthouse“ wurde zwar von einer anderen Religionsgemeinschaft gekauft, ist aber auch ein Ort weltlicher Veranstaltungen. Diese dürfen aber auch nicht „dem Duktus der katholischen Kirche widersprechen“, sagt der Geschäftsführer Harald Sadowski, „im Zweifel müssen wir mit dem Bischof reden.“ Der Draht zu den Katholiken aus der Umgebung ist eng: „Bei den Eröffnungsveranstaltungen kamen mindestens ein Drittel ehemalige Gemeindemitglieder.“

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Der Abriss einer Kirche ist laut Twarowska für das Bistum Essen die letzte Option. Sadowski, meint jedoch: „Die Hemmungen, Gebäude abzureißen, sind gefallen.“ Doch ob Abriss oder Umnutzung – für Robert Bicker von St. Peter steht fest: „Die Liebe Gottes wohnt nicht im Backsteinbau.“

Stipendiaten der Adenauer-Stiftung schreiben über Essen

Dieser Artikel ist Teil der Reihe „Essen im Wandel – ein Blick von außen“. Sie wird von Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit der Essener Lokalredaktion gestaltet. Elf junge Journalisten, die aus ganz Deutschland kommen und bereits erste Berufserfahrungen gesammelt haben, verfassen in den nächsten Tagen und Wochen Berichte und Reportagen über Themen aus unserer Stadt. Die Redaktion wünscht viel Spaß beim Lesen!