Essen. Der Umgang mit Toten ist für die meisten beklemmend, für andere ein Beruf: Aus dem Alltag von Bestattern und Mitarbeitern des Essener Krematoriums.
Langsam und still schreitet die Trauergemeinde den Kiesweg zur Grabstätte entlang. Sie folgen den Männern in dunkler Robe und Mütze, die die schwere Urne in ihren Händen tragen. Für die Angehörigen ist es eine Ausnahmesituation, für Bestattungsmitarbeiter Andreas Winkelmann und seine Kollegen ist es Arbeitsalltag.
Mehr als Begräbnis
„An den Trauerfeiern vorher nehmen wir nicht teil“, sagt Winkelmann und zündet sich eine Zigarette an. „Das würde bei mehreren Beerdigungen in der Woche einfach zu viel werden.“ Von einem Leben nach dem Tod sei er nicht überzeugt, sagt der 53-Jährige. Bei einer Sache ist sich der Bestattungsmitarbeiter aber sicher: „Wenn ich einmal sterbe, möchte ich von meinen Kollegen begraben werden – die wissen was sie tun.“
Wissen was zu tun ist – das unterscheidet den Bestatter von vielen trauernden Angehörigen. Längst gilt dies nicht mehr nur für das Begräbnis. „Es sind mit den Jahren immer mehr Dienstleistungsaspekte hinzugekommen“, sagt Simone Farwick, Juniorchefin eines Bestattungsunternehmens in Überruhr.
Es gehe nicht mehr nur um Kündigungen von Versicherungen und TV-Anschlüssen, sondern auch um Email-Adressen und Konten bei sozialen Medien. Da das Bedürfnis nach kirchlicher Unterstützung abgenommen habe, ist Hilfe zur Trauerverarbeitung ein wichtiger Aspekt für einen Bestattungsunternehmer geworden, sagt die 33-Jährige. „Auch bei der Zeremonie gibt es mittlerweile viel mehr Möglichkeiten zur persönlichen Gestaltung.“ Von eigener Musik, über eigene Deko-Elemente, bis hin zu Blumenschmuck aus dem eigenen Garten – fast nichts sei unmöglich.
Trend zur Feuerbestattung
Szenenwechsel. Die Leichenhalle des Krematoriums am Hellweg in Freisenbruch ist gut beleuchtet und eiskalt. Von der Decke bläst ein Ventilator. Die meisten Leichen liegen in verschlossenen Holzsärgen, andere auf Eisentragen, eingewickelt in Plane. „Können Sie das denn auch vertragen?“ Eine Mischung aus Besorgnis und Herausforderung liegt auf Andreas Walthers Gesicht. Sein Blick verrät, dass er genau weiß, wie sein Beruf auf andere wirken kann. Gruselig eben. Leichen anziehen gehört nicht zur Alltagstätigkeit der meisten Menschen.
Bei Andreas Walther, Mitarbeiter im Bestattungsinstitut Farwick, ist das anders. Routiniert öffnet er die Knöpfe einer türkisblauen Seidenbluse, um sie der Toten über den Kopf zu ziehen, sein Kollege Raphael Schlemmer stützt den Körper der Frau ab. Die beiden wirken überhaupt nicht gruselig, sie lächeln. „Routine kehrt ein“, erklärt Walther, „aber den Respekt vor den Toten verliert man nicht.“ Bei Kinderleichen allerdings gebe es so etwas wie Gewohnheit nicht. Als die beiden fertig sind, sieht es aus, als würde die Tote schlafen. Die faltigen Hände der alten Dame sind übereinander gelegt und ihre Augen geschlossen. Wir sind die letzten, die ihren Körper sehen. Der Sarg wird geschlossen und nicht mehr geöffnet.
Bei der Feuerbestattung im Krematorium Essen läuft alles vollautomatisch. „3400 Feuerbestattungen hatten wir hier seit Jahresanfang“, erklärt Mitarbeiter Joachim Reißberg. Die meisten Menschen würden sich heutzutage dafür entscheiden. Die Feuerbestattung sei günstiger, aber auch der Umweltaspekt spiele eine Rolle. „Man muss nur mal an die Verwesung eines Chemotherapie-Patienten denken, das fließt alles ins Grundwasser.“ Auf dem Computerbildschirm zeigt Joachim Reißberg auf Schadstoffskalen, während ein Sarg in den Feuerofen einfährt. Im Hintergrund läuft Robbie Williams Lied „Eternity“ im Radio.
Einfluss auf Arbeitsplätze
Den Trend zur Feuerbestattung bestätigt auch Simone Farwick. Jeder zweite Verstorbene komme mittlerweile ins Krematorium. Das habe auch Einfluss auf die Arbeitsplätze im Bestattungswesen. „Für einen Sarg braucht man sieben Träger, für eine Urne nur zwei.“
Joachim Reißberg beobachtet die Verbrennung durch eine Luke. „Hier sieht man, ob alles planmäßig abläuft.“ Im Keller entfernt er dann später noch Metallteile aus den Überresten des verbrannten Körpers. Künstliche Hüften, Schrauben und Implantate liegen in einem Eimer. Eine Maschine zermahlt die Knochen. Mit wenigen geschickten Handgriffen verschließt er die Urne. In einigen Tagen wird sie in die Erde gelassen.
Stipendiaten der Adenauer-Stiftung schreiben über Essen
Dieser Artikel ist Teil der Reihe „Essen im Wandel – ein Blick von außen“. Sie wird von Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit der Essener Lokalredaktion gestaltet. Elf junge Journalisten, die aus ganz Deutschland kommen und bereits erste Berufserfahrungen gesammelt haben, verfassen in den nächsten Tagen und Wochen Berichte und Reportagen über Themen aus unserer Stadt. Die Redaktion wünscht viel Spaß beim Lesen!