Essen-Borbeck. Nicole Gettler betreibt seit drei Jahren das „Café Fleischlos“ in Borbeck. Ihre Zielgruppe sind dabei längst nicht nur Vegetarier und Veganer.
Anfangs haben die Passanten noch mit dem Kopf geschüttelt, als sie am neu eröffneten „Café Fleischlos“ vorbei gelaufen sind. „Drei Monate, dann ist Ihr Laden wieder zu“, haben sie Nicole Gettler prophezeit. Doch sie hat den Skeptikern gezeigt, dass sie falsch lagen mit ihrer Einschätzung. Das Geschäft der 48-Jährigen ist immer noch da.
Ihr Ladenlokal im Weidkamp ist seit der Eröffnung im Mai 2013 eine Anlaufstelle geworden für die, die bei der Ernährung bewusst auf Fleisch verzichten. „Die Leute kommen zu mir aus der ganzen Region: Oberhausen, Bottrop, Mülheim...“, sagt „Fleischlos“-Chefin Gettler.
Ethische Gründe
Einer ihrer Stammkunden ist Dennis Kotucz. Der 25-jährige Lehramtsstudent ist seit etwa vier Jahren Vegetarier. Schon zuvor habe er oft darüber nachgedacht, dass etwas falsch laufe in der Lebensmittelindustrie. Seine finale Entscheidung für den Fleisch-Verzicht sei dann im Supermarkt gefallen: „Es kann doch nicht sein, dass Paprika mehr kostet als Hackfleisch.“
Er nennt ethische Gründe für seinen Entschluss, spricht vom Irrsinn der Massentierhaltung. Später am Tag möchte er noch mit Freunden grillen. In seinem Einkaufsbeutel stecken Medaillons und Hot-Dog-Würstchen, beides auf Soja-Basis. „Schmeckt super“, sagt er.
Es ist anzunehmen, dass der Kundenkreis des „Café Fleischlos“ künftig weiter wachsen wird. Die Essgewohnheiten der Deutschen ändern sich. Die Verbraucher legen zunehmend Wert auf eine gesunde und bewusste Ernährung. Unzählige Bio-Produkte, gekennzeichnet mit Dutzenden von Gütesiegeln, liegen in den Supermarkt-Regalen, selbst beim Discounter sind sie im Sortiment. Marktbeobachter sprechen von einem „Trend“.
Zahl der Vegetarier steigt
Auch die Zahl der Vegetarier steigt stetig. Laut dem „Vebu“, der nach eigenen Angaben größten Interessenvertretung für Vegetarier und Veganer in Deutschland, verzichten rund acht Millionen Menschen in Deutschland bei ihrer Ernährung auf Fleisch. Und etwa 900.000 Menschen leben demnach zudem vegan – sie verzichten komplett auf tierische Produkte.
Auch Café-Betreiberin Nicole Gettler ist Veganerin. Aber sie käme nicht auf die Idee, anderen Menschen ihre Überzeugung aufzuschwatzen. „Mein Wunsch ist zwar schon, dass die Menschen bewusster essen und mehr über ihr Essen nachdenken“, sagt sie. „Aber den Weg muss jeder selber finden. Zwingen kann man niemanden.“
Frikadellen aus Soja-Granulat
Also macht sie (Noch-)Fleischessern im „Café Fleischlos“ kulinarische Angebote, mit der vegetarisch-veganen Ernährung in Kontakt zu kommen. Sie backt und kocht, alles frisch, alles selbst gemacht. Sie experimentiert, entwickelt eigene Rezepte. Es gibt Kuchen, Muffins, Cup- cakes oder Cookies. Jede Woche setzt Gettler zwei Hauptgerichte auf die Mittagstisch-Karte.
Besonders hoch in der Kundengunst stehen ihre Hamburger. Die Frikadellen dafür macht sie aus Soja-Granulat oder aus Roten Bohnen. Gekauft werden die Gerichte oft von Angestellten der umliegenden Geschäfte. „Und geschätzt 70 Prozent von denen sind gar keine Vegetarier“, sagt Gettler.
Ein Traum wird wahr
In ihren Regalen und Kühlschränken liegen mehr als 300 vegetarische und vegane Produkte: Veggie-Leberwurst, vegetarischer Leberkäse aus Seitan, vegane Grillsteaks und fleischlose Bockwurst. Ein wenig erinnert das Angebot an die klassische Fleischtheke im Supermarkt – es steckt halt nur kein Fleisch drin in den Ersatzprodukten. „Vegetarier und Veganer verzichten ja nicht auf Fleisch, weil sie kein Fleisch mögen – sondern aus Tierschutzgründen.“
Dass die gebürtige Borbeckerin zur Ladenbesitzerin und Café-Chefin wurde, war für sie die Umsetzung eines lange gehegten Traums. Schon als sie in der Ausbildung war, hatte ihr die Idee gefallen. Doch zunächst wurde sie Bürokauffrau, arbeitete in Sekretariaten, in verschiedenen Branchen – von Stahl bis Steuerberatung. Als sie im Frühjahr 2013 das leere Ladenlokal im Weidkamp sah, entschloss sie sich, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Zwei Tage später war der Mietvertrag unterschrieben. „Jetzt oder nie, hab ich gedacht“, blickt Gettler zurück. „In die Hose gehen kann alles.“
Das Konzept ist aufgegangen
Ist es aber nicht. Gettlers Konzept mit dem Mix aus Café und Verkauf ging auf. Längst hat sie einen großen Kreis an Stammkunden. Sogar aus dem Urlaub schicken sie ihr Postkarten nach Borbeck. „Hallo Mrs. Fleischlos“, schreiben sie. „Ich freue mich, bald wieder bei Dir im Café zu sitzen.“ Oder: „Ich vermisse Dich und Dein gutes Essen.“