Essen. . Mario-Andreas von Lüttichau kümmert sich seit 25 Jahren um die ständige Sammlung am Museum Folkwang. Ein besonderes Jubiläum mit besonderer Geschichte

Sammeln, bewahren, forschen, ausstellen: So formuliert sich, kurz und knapp, das Aufgabenfeld eines Museums. Für das Publikum, das vor allem an den spektakulären Großschauen und Newcomer-Events interessiert ist, bleiben die ersten drei Bereiche zumeist im Hintergrund Dabei ist der Ruhm und der Erfolg des Museum Folkwang nach wie vor seiner exzellenten Sammlung zuzuschreiben, die nicht nur Fundament ist, sondern bis heute auch die wichtigste Währung im internationalen Leihgeber-Geschäft.

Einer, der die wechselvolle Geschichte der von Karl Ernst Osthaus begründeten Sammlung so tief durchdrungen hat wie kaum ein anderer, der um die Stärken und Eigenarten wie um die Schwächen weiß, ist Mario-Andreas von Lüttichau. Seit 25 Jahren ist er als Kustos für die Sammlung 19. und 20. Jahrhundert zuständig, also für all die Meisterwerke von Gauguin bis Cézanne, von Manet bis Munch, für die der Name Folkwang in aller Welt berühmt ist. Am 1. September feiert er sein besonderes Berufsjubiläum. „Ich bin schon so etwas wie der Gralshüter der Sammlung“, lächelt der Kunsthistoriker, wenn er mit forschem Schritt die neu gestaltete Skulpturenhalle durchmisst, vorbei an Lehmbruck und Rodin, Renoirs weltberühmte „Lise“ immer im Blick. Die Osthaus-Sammlung als unerschöpfliche Forschungs- und Lebensaufgabe.

Es gibt fraglos unerfreulichere Arbeitsplätze als „das schönste Museum der Welt“, wie MoMA-Mitbegründer Paul J. Sachs das Folkwang 1932 euphorisch nannte. Fünf Jahre später hatten die Nazis rund 1400 Gemälde, Skulpturen und Arbeiten auf Papier als „entartet“ beschlagnahmt und einen Kunstschatz, der in seiner Modernität und Strahlkraft damals einmalig war, geplündert. Nur ein Bruchteil konnte wiederbeschafft werden.

Folkwang-Schätze sind weltweit gefragt

Mario-Andreas von Lüttichau hat dieser kunsthistorische Verlust früh beschäftigt. Der promovierte Kunsthistoriker engagiert sich seit Jahrzehnten für das, was man heute unter dem Begriff Provenienzforschung kennt. Schon 1987 hat er in München die Ausstellung Entartete Kunst von 1937 rekonstruiert. Und irgendwann führte der Weg vermutlich nicht ganz zufällig nach Essen.

Als der gebürtige Münchner 1991 nach Stationen in München, Berlin und Bonn an die Goethestraße kam, hatte sich Essen gerade als Hauptstadt der so genannten Blockbuster-Schauen etabliert. Morosow und Schtschukin, van Gogh und die Moderne: Hunderttausende strömten damals nach Essen. „Wir haben in der Menge gebadet.“ Die Lust am Kunstevent sorgte aber damals schon für die ernüchternde Erkenntnis, dass Leute für Sonderausstellungen Schlange stehen. Die ebenbürtigen Meisterwerke der Sammlung waren seltener besucht.

Dass Folkwang inzwischen dank der großzügigen Unterstützung der Krupp-Stiftung das bundesweit einzige Haus ist, das den Besuch der ständigen Sammlung jederzeit eintrittsfrei ermöglicht, freut natürlich einen „Sammlungsmenschen“ wie von Lüttichau. Eine Anerkennung der Arbeit und der Kunst. Schließlich sind die Folkwang-Schätze noch immer echte „Stars“ im internationalen Leihverkehr. Fast keine Woche vergehe ohne eine Anfrage nach Monet, Gauguin, Matisse, Kandinsky, Kirchner. „50 bis 60 Werke werden immer wieder angefragt“, sagt von Lüttichau. In Abstimmung mit den Restauratoren und der Museumsleitung wird über jede Bitte entschieden.

Es ist ein Geben und Nehmen

Kann man das Bild entbehren? Ist das Ausstellungs-Konzept überzeugend? Wird man im Tausch möglicherweise eine wichtige Leihgabe bekommen, um Events wie zuletzt den „Farbenrausch“ oder „Das schönste Museum der Welt“ zur Einweihung des neuen Chipperfield-Baus auf die Beine stellen? „Es ist ein Geben und Nehmen“, sagt von Lüttichau. So bleibt auch eine ständige Sammlung ein immer wieder bewegliches Gebilde, werden Sichtweisen sacht erneuert, zumal die Arbeit mit den eigenen Schätzen – in Korrespondenz mit anderen Künstlern und Kuratoren – wieder an Bedeutung gewonnen hat.

Im Frühjahr 2017 wird von Lüttichau 65, dann wird einer der intimsten Kenner der Sammlung neue Aufgaben in der Kunst suchen. Der Folkwang-Schatz aber wird ihn vermutlich nie ganz loslassen. „Noch ist nicht jedes Bild erforscht.“