Essen. . Victoria Kräling ist in der Geschichte der Weißen Flotte die erste Kapitänin. Die 28-Jährige steuert die Ausflugsschiffe auf dem Baldeneysee.
- Victoria Kräling steuert im Sommer Ausflugsschiffe, und im Winter fährt sie Straßenbahn
- Die 28-Jährige hat schon nach drei Jahren an Bord ihr Schiffsführerpatent erworben
- Mit einer Geschwindigkeit von zwölf Stundenkilometern befördert sie ihre Fahrgäste auf dem See
Ihre Arbeitswelt ist eine Männerwelt . Jedenfalls auf dem Papier. Als Boots„mann“ fing sie an, jetzt besitzt sie das Ruhr„schiffer“patent, sie wird Schiffs„führer“ genannt. Mit der weiblichen Schreibweise tut man es sich auch auf dem Baldeneysee noch schwer. „Für die Damen steht so etwas nicht im Register“, lächelt Victoria Kräling. Die erste Kapitänin in der Geschichte der Weißen Flotte Baldeney heißt die Fahrgäste an Bord willkommen. Eine Frau hält das Steuer auf der Brücke der MS „Stadt Essen“ in der Hand.
Für die Weiße Flotte ist das eine Premiere, für die 28-Jährige „ein ganz normaler Job wie andere auch“. Vor elf Monaten erwarb sie zeitgleich mit ihren Kollegen Hans-Peter Dorok und Olaf Blasczyk das Patent. Sie hat sich von Anfang an mit ihren Kollegen verstanden, sie spricht die Dinge direkt an und sie kann anpacken. Das konnte sie schon als Tischlerin.
Als Bootsfrau hat sie im Mai 2013 angefangen
Und vielleicht wäre sie auch bei diesem Beruf geblieben, aber die Firma ihres Arbeitgebers ging in Insolvenz und sie wurde arbeitslos. Das Jobcenter vermittelte der jungen Frau aus Frohnhausen ein Praktikum bei einem Tischler. Als sie im Hafen eine Küche einbauen sollte, wurde der Chef der Weißen Flotte auf sie aufmerksam. Ob sie sich vorstellen könne, an Bord zu arbeiten, fragte er sie. Sie brauchte nur einen Tag Bedenkzeit und heuerte an. So eine Chance, von der Arbeitslosigkeit in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu kommen, wollte sie sich nicht entgehen lassen. Dafür machte sie den Tram-Schein, um außerhalb der Saison im Winter weiter als Straßenbahnfahrerin arbeiten zu können. Dafür nimmt sie die langen Wochenenddienste im Sommer in Kauf, weil zu diesem Zeitpunkt die meisten Charteranfragen für die Weiße Flotte vorliegen.
Als Bootsfrau hat sie im Mai 2013 angefangen, hat das Schiff festgemacht, den Fahrgästen beim Ein- und Aussteigen geholfen, kassiert und gleich in den ersten Monaten auf freier Strecke schon mal das Steuerrad gehalten. „Es war schwerer als ich dachte“, erinnert sie sich. Aber bald hatte sie den Dreh raus. Sie bestand auf Anhieb ihre Prüfung bei der Bezirksregierung und mit dem Ruhrschifferpatent Nr. 168 darf sie alle Flottenschiffe auf dem Baldeneysee steuern . „Meine Mutter war stolz auf mich wie Oscar“, erzählt Victoria Kräling. Und sie selbst: „Ein bisschen.“ Schon als Kind war sie gerne mit ihrem Bruder und Vater oft am Baldeneysee. Dass sie aber eines Tages hier als Kapitänin an Bord geht, „das hätte ich mir damals nie vorgestellt“.
Blick über den Baldeneysee hinaus werfen
Victoria Kräling freut sich auf ihre Fahrgäste, „die sind so entspannt, weil sie ihre Freizeit genießen wollen“. Auf dem Baldeneysee herrscht keine Hektik wie in der Straßenbahn. Keine Staus, keine genervten Autofahrer, keine Falschparker, keine Verspätungen. Die „Stadt Essen“ dümpelt mit nur zwölf Stundenkilometern vom Anleger Hügel zum Haltepunkt Wehr. Kapitänin Kräling genießt solche Augenblicke – bleibt aber stets voll konzentriert. „Plötzlich kann der Wind drehen. Gerade hier in Höhe Hügel. Darauf musst du vorbereitet sein, um gegensteuern zu können.“, berichtet die 28-Jährige. Deshalb hat sie immer das Wetter im Blick – wie auf hoher See.
In den nächsten Jahren will Victoria Kräling den Blick über den Baldeneysee hinaus werfen und Patente für weitere Gewässerabschnitte erwerben. „Und irgendwann mache ich die Berlin-Fahrt.“ Dann will sie das Motorschiff Heisingen 610 Kilometer weit durch die halbe Republik steuern – von Essen nach Berlin.