Essen. Weil der SPD-Ratsherr Arndt Gabriel der Stadt zwei Bürobauten in Holsterhausen als Asylheime vermietet, sieht er sich in der Partei kritischen Vorwürfen ausgesetzt. Und erfährt ein schier unglaubliches Angebot.

  • Am 6. April wurde ein zehnjähriger Mietvertrag unterzeichnet, um dort ab September 449 Flüchtlinge unterbringen zu können
  • SPD Essen bittet OB Kufen, den Deal durch das städtische Rechnungsprüfungsamt kritisch unter die Lupe zu nehmen
  • Ratsherr Arndt Gabriel berichtet von einem unmoralischen Angebot eines Essener Magazins

Der Katernberger SPD-Ratsherr Arndt Gabriel steht unter schwerem Druck, weil er zwei von ihm erworbene große Gewerbeimmobilien an der Münchener Straße in Holsterhausen als Flüchtlingsunterkünfte an die Stadt vermietet hat. Parallel hat er sich jedoch im Essener Norden, wo er gewählt wurde, zeitweilig als scharfer Kritiker der deutschen Asylpolitik und als Mahner vor zu hohen Flüchtlingszahlen profiliert.

Dies focht ihn bei seinen geschäftlichen Interessen allerdings nicht an: Am 6. April dieses Jahres wurde ein zehnjähriger Mietvertrag mit der Stadtverwaltung unterzeichnet, die voraussichtlich ab September in Gabriels Gebäuden auf 5960 Quadratmetern 449 Flüchtlinge unterbringen will – für 600.000 Euro Miete pro Jahr.

Für den 54-jährigen Fensterbau- und Reinigungs-Unternehmer womöglich ein einträgliches Geschäft, das aber die heimischen Genossen am Dienstagstern in helle Aufregung versetzte: Sie baten – ein beispielloser Vorgang in der jüngeren Ratsgeschichte – Oberbürgermeister Thomas Kufen darum, den Deal durch das städtische Rechnungsprüfungsamt kritisch unter die Lupe zu nehmen.

SPD-Ratsherr demonstrierte noch gegen Unterkünfte im Norden

Mehr noch: Für die kommende Woche ist eine Sondersitzung der SPD-Ratsfraktion anberaumt, und bis zur „lückenlosen Aufklärung“ des Sachverhalts möge Gabriel doch bitte sein Mandat ruhen lassen. Es gehe ja nicht nur um juristische Unangreifbarkeit, heißt es: „Wir haben einen hohen Anspruch an die moralische Integrität unsere Mandatsträger“, ließ SPD-Fraktionschef Rainer Marschan gestern verlauten. „Insbesondere Ratsmitglieder sind die Gesichter unserer Partei, die sich auch außerhalb ihrer politischen Tätigkeit einwandfrei verhalten müssen.“

Ob der Reinigungs-Unternehmer sauber agiert hat, daran kann der geneigte Bürger insofern Zweifel hegen, als Gabriel im Februar noch flammende Appelle unterzeichnete, in denen er beklagt, dass der massive (Aus-)Bau weiterer Asylheime im Norden eine soziale Schieflage provoziert. Um dann zeitgleich in Holsterhausen, wo ebenfalls schon viele hundert Flüchtlinge untergebracht sind, genau an einer solchen Konzentration selbst zu verdienen.

Hüben Wasser predigen, drüben Wein saufen – dass er sich da politisch nicht mit Ruhm bekleckert hat, weiß Gabriel mittlerweile selber: „Unsagbar dämlich“, habe er da agiert, sagt der 54-Jährige kleinlaut. Er „weiß, wie unglaubwürdig das klingt“, zumal er in Schonnebeck auch noch bei einer Demo gegen die Asylpläne mitmarschiert war: „Da ärgere ich mich über mich selber.“

Seine SPD-Kollegen waren ihm da im Ärger spürbar voraus. Das Erstaunen, das die SPD-Ratsfraktion in ihrem Brief an den OB am Dienstag über Gabriels Asyl-Geschäftigkeit demonstrierte, war jedenfalls nur gespielt: Arndt Gabriel hatte dem OB, so wie es die Ehrenordnung des Rates vorschreibt, das Geschäft bereits im Februar angezeigt. Und schon am 20. April waren die Parteien im Hauptausschuss des Rates schriftlich darüber informiert worden, dass der Genosse aus Katernberg als Mitgesellschafter eine Firma namens „w-sale Immobilien GmbH“ vom Betrieb eines Asylheimes profitiert, oder besser: profitieren wollte. Von einer Debatte ist im Protokoll nichts vermerkt. Man nahm’s zur Kenntnis.

„Du bereicherst Dich an Flüchtlingen“

Denn dass man mit derlei Immobilien viel Geld machen kann, war wohl kaum echtes Insiderwissen, sondern allseits bekannt – und die Zeitung voll davon, dass die Stadt ihre sündhaft teuren Zeltcamps loswerden will und deshalb umgebaute Bürobauten mit Kusshand anmietet. Gabriel hatte den zur Zwangsversteigerung anstehenden Bau im Januar für 1,25 Millionen Euro und damit deutlich unter dem Verkehrswert erworben. Ein Schnäppchen, das zu ergattern ein Mitarbeiter der Sparkasse Essen mithalf. Der ist nun stiller Teilhaber bei Gabriels „w-sale“, vermittelte den Kreditvertrag offenbar gezielt über den Umweg der Sparkasse Langenberg und setzt darauf, dass das Investment Früchte trägt.

Mieter für die größtenteils leerstehende Doppel-Immobilie an der Münchener Straße 67 und 67a waren schnell gefunden – bis Gabriel und Co. der Gedanke kam, lieber in Asyl zu machen. Onkologen verdienen an Krebsbehandlungen, Bestatter am Tod, Versicherer an der Angst der Menschen vor Autoklau und Einbrechern. Warum sollte er, seit 39 Jahren Sozialdemokrat hin oder her, nicht mit der Flüchtlingsunterbringung Geld machen dürfen? „Ich habe da kein schlechtes Gewissen gehabt.“

Rainer Marschan, SPD-Chef im Essener Stadtrat: „Insbesondere Ratsmitglieder müssen sich auch außerhalb ihrer politischen Tätigkeit einwandfrei verhalten.“
Rainer Marschan, SPD-Chef im Essener Stadtrat: „Insbesondere Ratsmitglieder müssen sich auch außerhalb ihrer politischen Tätigkeit einwandfrei verhalten.“ © Essen

Das versuchten ihm eher andere zu machen: „Du bereicherst Dich an Flüchtlingen“, habe man ihm schon vor Wochen bedeutet, so behauptet Gabriel. „Es ging darum, Schuldgefühle aufzubauen“ – und möglichen Schaden von den in der Öffentlichkeit ohnehin arg gebeutelten Sozialdemokraten zu nehmen. Ein Genosse in der Zwickmühle: „Hätte ich anrufen sollen: Darf ich das Geschäft machen?“, fragt Gabriel rhetorisch.

Oder andersherum: „Was hätte ich antworten sollen, wenn die Stadt fragt, und ich hätte ,Nein’ gesagt?“ Ein gutgläubiger Mensch sei er halt und ein gläubiger dazu. Er war mal Synodaler, das silberfarbene Kreuz mit dem eingeprägten Fisch, Zeichen der Ur-Christen, baumelt unübersehbar an der Halskette. Will sagen: Vorwürfe, er hätte die Altmieter unfein aus der Immobilie gedrängelt, womöglich unter missbräuchlicher Verwendung seiner Stellung als Ratsherr, seien „Quatsch“. Sagt’s und macht eine abwehrende Geste: „Ich war immer transparent, und ich war fair.“

Arndt Gabriel: Magazin machte unglaubliches Angebot

An dieser Stelle könnte die Geschichte über den nächsten Sozialdemokraten, den die Flüchtlingskrise schafft, zu Ende sein, wüsste Arndt Gabriel sie nicht durch eine schier unglaubliche Begebenheit zu ergänzen. Denn nach seiner Schilderung trug es sich zu, dass ein Magazin bei ihm vorstellig wurde, sich die Umstände des Immobilien-Deals vortragen ließ und hernach ein unmoralisches Angebot machte.

Und das habe so geklungen: Man könne der anrüchigen Geschichte eines Sozis, der sich an den Flüchtlingen gesundstößt, ja dadurch eine positive Wendung geben, dass dieser durch eine besonders großherzige Spende seinen Gewinn an eine gemeinnützige Organisation weiterreiche.

Anfangs, so schildert es Gabriel, sei ein Betrag von 500.000 Euro im Gespräch gewesen, später sei dieser auf 250.000 Euro gestutzt worden. Beide Seiten sollten von diesem Ausbund an Großzügigkeit profitieren: Das Magazin, so heißt es, wollte jene Organisation aussuchen, der die Sterntaler in den Schoß fallen, und der Genosse konnte sich seiner „Schuld“ entledigen.

Wie bitte?

Man muss nicht dem treuherzigen Augenaufschlag Arndt Gabriels glauben, der diese Geschichte mit dem Hinweis erzählt, er würde sie bei Bedarf und wenn’s hart auf hart kommt, auch an Eides statt versichern. Man muss nur seine Ohren in der Sozialdemokratie offen halten, wo diese Schilderung seit einigen Wochen kursiert, und zwar nicht auf Seiten derer, die man Gabriels Lager zuordnen würde.

Ob es aber hieb- und stichfeste Beweise für dieses Ansinnen gibt? Wohl nicht. Arndt Gabriel sagt, er habe schlaflose Nächte gehabt deswegen. Er weiß, dass er schließlich nicht nur von einem Geschmäckle redet, sondern von versuchter Nötigung, einer Drohung, von einer moralischen Bankrotterklärung derer, die da politisch oder journalistisch mitmischen.

„10.000 Euro hätte ich ja bezahlt“, sagt er, aber seine Freunde, seine Familie hätten abgewinkt: „Das ist ein Schuldanerkenntnis.“ Und er sich nun mal keiner Schuld bewusst. Er habe das Magazin nicht mehr kontaktiert und parallel der SPD signalisiert, dass er von ihr Solidarität erwarte. „Und jetzt stecke ich im Haifischbecken der Politik.“

Ein Asylheim für die nächsten zehn Jahre

Die Anmietung des Objektes Münchener Straße 67 und 67a passierte am 10. März ohne Wortbeiträge den Bauausschuss des Rates. Es ging darin um die Anmietung für zehn Jahre zu einer Bruttojahresmiete von 600.000 Euro.

  • Untergebracht werden dort bis zu 449 Flüchtlinge. Vermieter ist die von Arndt Gabriel und einem stillen Gesellschafter gehaltene
    w-sale Immobilien GmbH.

  • Nach Gabriels Worten hat er 250.000 Euro Eigenkapital eingebracht, das Objektvolumen liege insgesamt bei vier Millionen Euro. Für die Noch-Mieter arbeite man an einvernehmlichen Lösungen.