Essen. Kufen hat nach der brutalen Familienfehde engagierte Jugendliche eingeladen. Doch nicht nur das Treffen soll als deutliches Signal verstanden werden.

  • Landeskommission soll Vorschläge für eine bessere Bleibeperspektive prüfen
  • Fünf Kandidaten für eine Abschiebung sind bereits identifiziert
  • Beide Maßnahmen sollen ein deutliches Signal an die libanesische Szene sein

Die so blutige wie brutale Familienfehde unter kurdischen Libanesen in der Innenstadt wirkt nach. Auch nach Wochen noch. Politisch, polizeilich, persönlich. Das 21 Jahre alte Opfer, das die fünf normalerweise tödlichen Schüsse aus einer 45er Magnum wie durch ein Wunder überlebt hat, hat – für immer gezeichnet – die Intensivstation gerade verlassen, als Thomas Kufen seine Worte bewusst wägt: „Viele sind jetzt besorgt, viele haben Angst.“

Der Oberbürgermeister sitzt in einem weißen Gartenstuhl aus Plastik auf sattem Katernberger Grün und schaut in die Runde, die sich da unter freiem Himmel im Schatten des Bergmannsdoms am Marktplatz versammelt hat: Libanesisch-stämmige Jugendliche, eine Mitarbeiterin des Jugendamts und ein Sozialarbeiter des Jugendhilfe-Netzwerks der Arbeiterwohlfahrt.

Teil der bürgerlichen Realität

Kufen bereitet seine Botschaft, die Hoffnung für diese jungen Menschen bedeuten soll, behutsam vor: Die Messerattacke vor Görtz auf der Limbecker Straße – „da kauf ich auch meine Schuhe“, sagt er, die Schüsse vor dem Döner-Laden am Rande der City – „wo ich auch hätte essen gehen können“ – haben das Fass zum Überlaufen gebracht: „Die Stimmung ist nicht gut in Essen“, was die Libanesen angeht.

OB Thomas Kufen im Gespräch mit Ibrahim und anderen libanesisch-stämmigen Jugendlichen. Foto: Dirk Bauer / FUNKE Foto Services
OB Thomas Kufen im Gespräch mit Ibrahim und anderen libanesisch-stämmigen Jugendlichen. Foto: Dirk Bauer / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services

Mit einem Knall, mit einem Stich ist die Eskalation der Gewalt in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu einem harten Teil der bürgerlichen Realität geworden. „Das beunruhigt viele in Essen“, stellt der Oberbürgermeister fest, der sich nach den Vorfällen fast reflexhaft schnell den Erhalt des gesellschaftlichen Friedens um jeden Preis auf die Fahnen geschrieben hat.

Ungefährlich ist es selbst für ihn nicht, sich mit mutmaßlich Schwerkriminellen anzulegen, meint der OB. Doch Kufen ist auch Wochen nach dem versuchten Mord immer noch wild entschlossen zu handeln.

Fünf Kandidaten für Abschiebung identifiziert

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Gegen die Bösen, denen die Stadt die Abschiebung androht und fünf Kandidaten dafür bereits identifiziert hat. „Ich werde viel Energie hineinstecken, dass wir die loswerden – egal ob an die Türkei oder den Libanon.“ Das soll Zeichen setzen. Und das auch: Für die Guten, die am Mittwoch in den Garten durften, schlägt der OB ganz andere Töne an, und die Glocke der nahen Kirche gibt ihren akustischen Segen dazu. Es ist Schlag 19 Uhr, als Kufen klarstellt: „Ich schere nicht alle über einen Kamm. Euer Fortkommen liegt mir am Herzen.“

Damit meint er Ibrahim, Hussein, Moussa, Mahmud und Mahmud, Zeinob und Fatma stellvertretend für hunderte Jugendliche oder Heranwachsende mit libanesischen Wurzeln in Essen. In Deutschland geboren, dennoch nicht geborgen, engagiert, straffrei und dennoch geächtet durch das Ausländerrecht, das ihnen den Weg in die Zukunft alles andere als ebnet. Sie alle haben einen Schulabschluss in der Tasche oder in der Mache, suchen einen Job, einen Ausbildungsplatz, wollen studieren, ihr Leben in die Hand nehmen. Doch wer sich mit einer Duldung oder einer Fiktionsbescheinigung, die noch nicht einmal mit einem Lichtbild ihres Inhabers aufwarten kann, ausweist, hat’s schwer bei potenziellen Arbeitgebern. Viel schwerer als andere.

"Integration und Bleibeperspektive hängt zusammen"

Hussein, geduldet, will Chemikant werden. „Aber nicht um Bomben zu bauen?“, scherzt Kufen. Mahmud, Fiktionsbescheinigung, will Sozialpädagogik studieren. Mahmud aus Überruhr will sein Abi machen und „was Richtung Kaufmann“ lernen. Moussa hat seinen Realschulabschluss in der Tasche, engagiert sich ehrenamtlich. Fatma hilft ihrer Mutter zu Hause. „Mädchen, du musst raus“, mahnt Kufen. Doch die 18-Jährige, die freiwillig ein Kopftuch trägt, hat viele Bewerbungen geschrieben. Erfolglos.

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Das könnte sich bald ändern. Der Oberbürgermeister hatte es angekündigt: Für die staatenlosen Libanesen, die sich zum Teil in dritter Generation immer noch in Duldung befinden, nicht straffällig geworden sind und eine positive Integrationsprognose aufweisen, eine Bleibeperspektive zu erarbeiten. Das Treffen in Katernberg soll ein deutliches Signal an die libanesische Gemeinschaft sein, in der die Duldung die Dauer-Klammer ist, die Gut und Böse zusammenhält. Es ist das gemeinsame Schicksal, das die Trennung beider Lager schwer macht. „Integration und Bleibeperspektive hängt zusammen“, weiß der Oberbürgermeister als langjähriger ehemaliger Integrationsbeauftragter des Landes nur zu gut: „Ohne Perspektive habe ich keinen Bock auf Schule.“

"Irgendwas bricht innerlich"

Dass Ibrahim und die anderen es dennoch geschafft haben, rechnet Kufen ihnen hoch an. Doch es wird kein leichter Weg sein, ihren Status dauerhaft zu verbessern. Eine Kommission des Landes soll jedes halbe Jahr fünf Vorschläge der Stadt prüfen. Wer und wie viele letztlich in den Genuss von Passersatzpapieren kommen, ist offen.

Auch Ibrahim hofft darauf, zückt sein Handy und deutet auf ein Foto, das er in einer Asylunterkunft geschossen hat. Er arbeitet dort in der Essensausgabe. Zu sehen ist ein Ausweis mit dem Foto eines Asylbewerbers, der seit kurzem im Land ist. Ibrahims Fiktionsbescheinigung aber ist bild- und gesichtslos wie eh und je, sie zeigt weder den deutschen noch den libanesischen Jungen, der in diesem Land geboren ist. „Irgendwas bricht da innerlich“, sagt Ibrahim beim Abschied: „Ich weiß nicht genau was. Aber das spürst du.“