Essen-Altenessen. . TV-Bericht über „einen Stadtteil im Ausnahmezustand“ löst Empörung aus. Bauträger, Sozialarbeiter und Stadtteilmoderatorin halten ihn für „unverschämt“.

Sie kennen sich nicht: Thomas Rüth und Stefan Fabritz. Der eine ist Awo-Sozialarbeiter, der andere Bauleiter. Beide sind in Altenessen sehr aktiv, aber eben in unterschiedlichen Bereichen. Doch Thomas Rüth sagt spontan über Stefan Fabritz: „Der kriegt eine Medaille von mir!“ Was ihn zu diesem Lob veranlasst, ist ein öffentlicher Brief, in dem Stefan Fabritz auf einen extrem negativen Fernsehbericht antwortet: Spiegel TV hatte auf RTL Libanesen-Clans und Problemhäuser zum Anlass genommen, Altenessen als Stadtteil im Ausnahmezustand und Niedergang darzustellen.

Stefan Fabritz wurde vor 46 Jahren in Altenessen geboren und ist dem Stadtteil seitdem treu geblieben. „Meine gesamte Familie stammt aus Altenessen und lebt schon seit Ewigkeiten hier, über 70 Jahre“, sagt er. Wir treffen uns mit ihm an der Böhmerheide, wo er gerade gemeinsam mit seinem Partner Friedrich Zenk 24 Seniorenwohnungen gebaut hat. Der 62-Jährige stammt sogar aus Baden-Baden („Dort, wo andere Urlaub machen.“), doch im Ruhrgebiet ist er heimisch geworden. Gemeinsam haben die beiden Partner seit der Jahrtausendwende 500 Wohnungen und 220 Reihenhäuser gebaut, überwiegend im Essener Norden. Das hätten sie nicht getan, wenn alles so schlimm wäre, wie es der Fernsehbericht zeigen wollte. „Das hier ist ein Viertel, wo man sagen würde, dass es nicht das beste Viertel ist, aber es trägt dazu bei, den Stadtteil attraktiver zu machen“, sagt Friedrich Zenk realistisch.

Altenessen-Konferenz

Und Stefan Fabritz schüttelt die Attraktionen seines Stadtteils nur so aus dem Ärmel: „Die Jugendfarm, Sportvereine und Kleingärten, die Nähe zur Buga, gute Einkaufsmöglichkeiten, Fuß- und Radwege durch den grünen Essener Norden, der Rhein-Herne-Kanal, Bibliothek, Ärzte, Anwälte und die Zeche Carl als kulturelles Zentrum.“

Damit liegt er auf einer Wellenlänge mit Monika Hempel (67), die gerade eine der neuen Seniorenwohnungen an der Böhmerheide bezogen hat. „Ich bin hier geboren und bleibe hier, weil es hier so gut ist“, sagt sie in aller Deutlichkeit. Dass es in Altenessen auch Probleme gibt, weiß sie aus eigener Anschauung: Ehrenamtlich arbeitet sie an der Tafel der Stadt Essen mit.

"Hier wird aktiv Integration gelebt"

Eins der stärksten Argumente gegen die „einseitigen, negativen Berichte“ sei die Altenessen-Konferenz mit über 300 Teilnehmern, sagt Stefan Fabritz. „Altenessen ist sicherlich der Stadtteil mit der höchsten Anzahl an Bewohnern mit Migrationshintergrund und einer sozial schwächeren Bevölkerung als der Rest von Essen. Aber hier wird aktiv Integration gelebt. Dies zeigt sich vor allem auch bei Veranstaltungen wie der Altenessen-Konferenz, die Probleme behandelt und zu lösen versucht.“

Dazu versuche die Interessengemeinschaft Altenessen, die sich aus Bürgern wie Immobilienbesitzern, Geschäftsleuten und Rechtsanwälten zusammensetzt, den Stadtteil attraktiver zu machen. Doch Projekte wie die geplante Marina hätten „unter solch einer Publicity zu leiden“: „Welcher Investor wird denn Geld in die Hand nehmen, um in einem Problem-Stadtteil zu investieren? Niemand!“

Das sieht auch Gabi Wittekopf, Moderatorin des Stadtteilprojekts Altenessen-Süd, so: „Gerade an der Altenessen-Konferenz haben Deutsche, Türken und Menschen anderer Nationalitäten teilgenommen. Von ihnen ging das deutliche Votum aus: Bitte hört auf, diesen Stadtteil schlecht zu reden.“ Für sie war der TV-Bericht schlichtweg eins: „Unverschämt.“

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