Essen. Die blutige und öffentliche Eskalation der Gewalt in der Innenstadt spielt im Milieu der „Mhallami-Kurden“. Zedernverein bittet Oberbürgermeister Kufen um Hilfe.

  • Mordkommission ermittelt zügig, vier Haftbefehle wurden erlassen – auch wegen versuchten Mordes
  • Schwarzer Samstag wurzelt wohl in Familienfehde. Täter und Opfer gehören einem Clan an
  • Libanesischer Zedernverein setzt Hilferuf ab an OB Thomas Kufen

„Wenn Moe stirbt, gibt’s Krieg.“ Der libanesisch-stämmige Geschäftsmann Mohamad Masri, Inhaber des Café Tripoli auf der I. Weberstraße, wagt eine düstere Prophezeiung. Moe (21) heißt eigentlich Mohamed K. und ist das Opfer des Pistolenanschlags von Samstagabend auf der Friedrich-Ebert-Straße. Masris Pessimismus kommt nicht von ungefähr. „Moe liegt im Koma, Sonntagnachmittag hat sich sein Zustand verschlechtert.“ Eine Information, die dem Bulletin der behandelnden Ärzte ähnelt. „Der Zustand des schwerstverletzten Angeschossenen ist kritisch“, sagt Polizeisprecher Lars Lindemann am Montagnachmittag.

Selbstjustiz im Milieu „Mhallami-Kurden“

Die Tatorte vom 9. April in der Essener Innenstadt. Grafik: Gerd Niewerth/Helge Hoffmann
Die Tatorte vom 9. April in der Essener Innenstadt. Grafik: Gerd Niewerth/Helge Hoffmann

Streitigkeiten unter Essener Libanesen – insbesondere auch handgreifliche – gehen meistens Fehden zwischen verfeindeten Clans voraus. Doch in dieses stereotype Schema lässt sich der aktuelle Kriminalfall, dem wenige Stunden zuvor eine Messerstecherei auf der Limbecker Straße vorangegangen war, nicht pressen. Es ist ein Fall, der sich im Milieu der so genannten „Mhallami-Kurden“ abspielt. Das Pistolenopfer, der mutmaßliche Schütze, das Opfer des Messerstechers – sie alle würden denselben Familiennamen tragen, erzählt man sich im Milieu. Bald 6000 von ihnen leben in Essen, das nach Berlin die zweitgrößte Kolonie dieser Volksgruppe beheimatet. Binnen drei Jahrzehnten haben sie eine Parallelgesellschaft errichtet, die sich strengen, archaischen Gesetzen unterwirft und auf beunruhigende Weise zur Selbstjustiz neigt. Jetzt versuchen deutsche Ermittler – heißt: eine Mordkommission der Essener Polizei – zu klären, warum es zu diesem schwarzen Samstag im libanesischen Kurden-Milieu kam.

Gegen die nach der Schießerei festgenommenen drei Männer hat ein Haftrichter Montag Haftbefehle erlassen – gegen den 46 Jahren alten mutmaßlichen Schützen Mahmoud K. wegen versuchten Mordes, gegen den 20- und 35-Jährigen wegen Beihilfe zum versuchten Mord.

Schon am Sonntag war ein weiterer Haftbefehl erlassen worden – gegen den 29 Jahre alten Altenessener, der am Samstag um 13.30 Uhr auf der Limbecker/Schwarze Horn – am helllichten Tag mitten in der City – Abdelhamid K. (44) durch einen Stich im Halsbereich schwer verletzt hatte. Der Pistolenschütze ist der Bruder des 44-Jährigen.

Dem am Boden liegenden Opfer dreimal in die Beine geschossen

Der Clan der K.’s befehdet sich wohl schon seit längerem. „In dieser Familie gibt’s seit 15 Jahren Streit“, bestätigt ein Kellner des Grillrestaurants „Arabesk“ auf der Friedrich-Ebert-Straße. Vor dem belebten Lokal soll Mahmoud K. am Samstagabend um 23 Uhr drei Schüsse in Moe K.’s Oberkörper gefeuert haben. „Der wollte ihn töten“, glaubt der Kellner. Daraufhin sei das stark blutende Opfer geflohen, aber schon wenige Meter weiter vor dem Griechen-Café „Metropol“ zusammengebrochen. „Als Moe auf dem Boden lag, soll Mahmoud dreimal in seine Beine geschossen haben“, sagt ein Libanese.

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Der mutmaßliche Schütze und seine Helfer wohnen nicht weit entfernt im Nordviertel, auf der Altenessener und Ostermannstraße. „Der Schütze soll bei der Festnahme in Boxershorts vor dem Fernseher gesessen haben“, sagt ein Insider.

Libanesischer Zedernverein prangert Paralleljustiz an

Mohamad Masri, seit 17 Jahren Mitglied des Integrationsrates, hat schon am Sonntag im Namen des libanesischen Zedernvereins einen Hilferuf an OB Thomas Kufen abgesetzt. „So langsam reicht’s“, sagt er und prangert die katastrophale Paralleljustiz unter den Mhallami-Kurden an. Zugleich weist er auf die Perspektivlosigkeit junger libanesischer Kurden hin, die schon in dritter Generation in Essen lebten. „Sie haben keine Arbeit, geraten auf die schiefe Bahn und greifen zur Selbstjustiz.“ Wer Prozesse des Essener Landgerichts verfolgt, weiß, was schiefe Bahn bedeutet. Die Gestrauchelten suchen ihr Glück oft als Zuhälter und Waffenhändler, als Autoschieber und Drogenhändler.

Eine besonders verhängnisvolle Rolle im Kurden-Milieu spielen Masris Ansicht nach so genannte Friedensrichter, besonders respektierte ältere Männer, die das Recht in die eigene Hand nehmen würden. „Diese Friedensrichter machen alles kaputt“, zürnt er.