Essen. Verein VHAG hat viereinhalb Jahre Arbeit in den historischen Beiwagen 350 gesteckt. Jetzt will er die Straßenbahn 1501 flott machen, die im Tunnel steht.

Man muss verrückt sein, um viereinhalb Jahre in die Instandsetzung eines einzigen Fahrzeuges zu investieren. Da würde jeder Werkstattleiter kopfschüttelnd die Arme verschränken. Nicht Martin Ruhnau und sein Team vorwiegend junger Ehrenamtler. „Ja ich bin Straßenbahn-verrückt“, sagt von sich der technische Chef der „„Verkehrshistorischen Arbeitsgemeinschaft Evag“ (VHAG). Er will in Essen alte Züge wieder auf die Schienen bringen – und mögen sie noch so viel Rost angesetzt haben.

Fünf historische Bahnen hat der Verein bereits mit Hilfe des Verkehrsunternehmens Evag in der Vergangenheit restauriert. Das aktuelle Projekt ist sein erstes, das er von Anfang bis Ende fast ausschließlich mit eigenen Kräften gestemmt hat. 15 Helfer, 3000 zusätzliche Arbeitsstunden nach Feierabend und – wie gesagt – viereinhalb Jahre Geduld. In wenigen Tagen stehen auf dem Evag-Betriebsgelände an der Schweriner Straße die Signale auf grün: für den fast 60 Jahre alten Straßenbahn-Beiwagen 350 mit frischer elfenbeinfarbener Lackierung an den Seiten und dem strahlend grünen Dach. Fehlt nur noch die Beschriftung. Ab dem 4. Juni heißt es an jedem ersten Samstag im Monat: Einsteigen bitte – auf der Kulturlinie 107 im historischen Beiwagen 350 (Weitere Infos: auflinie.vhag-evag.de).

Durofol-Sitze aus Augsburg

Die Düsseldorfer Waggonfabrik (Düwag) hatte 1957 den sogenannten „Verbandswagen“ produziert, von denen die Essener zehn Exemplare bestellten. Das Fahrzeug mit der Wagennummer 350 hatte immerhin 22 Sitz- und 70 Stehplätzen und wurde hier in den 60er Jahren immer öfter an große Straßenbahnen angehängt, damit auch zu Stoßzeiten kein Fahrgast an der Haltestelle zurückbleiben musste. Der Anhänger mit seiner typischen Kastenform rumpelte nur rund 20 Jahre durch Essen, dann wurde das Straßenbahnnetz verkleinert, und neun der zehn Beiwagen landeten auf den Schrottplatz. Bis auf den Beiwagen 350. Der sollte ab 1979 vom „Flaggschiff“ der historischen Flotte, vom 1949 gebauten Straßenbahn-Triebwagen TW 888 gezogen werden, aber nur zu besonderen Anlässen.

Irgendwann war der Lack des maroden Museumswagens ab. Kurz nach Weihnachten 2011 begannen die Helfer, den Beiwagen in seine Einzelteile zu zerlegen. Alles wurde dokumentiert und eingelagert. Der Verein hielt schon früh deutschlandweit nach Ersatzteilen Ausschau. Von den 24-Volt-Glühbirnen hat die VHAG noch genug in Reserve. Aber die Durofol-Sitze aus künstlich hergestelltem Holzwerkstoff, die hier weit und breit nicht zu finden sind, mussten sie extra aus Augsburg von ausrangierten Straßenbahnen holen.

Restaurierung in Fachwerkstatt wäre zu teuer

Das Gerippe des 10,50 Meter langen Fahrzeuges wurde komplett entrostet, die Elektrik erneuert, der Fußboden ausgetauscht. Am leichtesten war die Behandlung der vergammelten Halte-Schlaufen. Ab in die Waschmaschine, 60 Grad einstellen, fertig. „Die sehen aus wie neu“, strahlt Ruhnau. Verkehrshistoriker wissen sich manchmal mit ganz einfachen Mitteln zu helfen.

Sein Helfer Patrick Hackert hat überall mit Hand angelegt. Er kennt jetzt jede Schraube, jedes Teil vom Beiwagen 350. „Und ich freue mich auf die erste Fahrt.“ Dann sitzt er vorne im Triebwagen 888, der die 350 ziehen wird. Patrick Hackert ist nicht nur Straßenbahnfahrer bei der Evag. Er hat auch die Lizenz dafür, historische Züge zu fahren.

Martin Ruhnau hat sie auch, aber er muss strategisch nach vorne blicken, um hier und da ein Stück Historie zur retten. Irgendwo im Essener Tunnelnetz der Evag (der genaue Ort wird geheimgehalten) steht ein tonnenschweres altes Schätzchen, das derart heruntergekommen ist, dass man es lieber nicht der Öffentlichkeit zeigt. Für die Restaurierung in einer Fachwerkstatt müssten rund 300.000 Euro aufgewendet werden. „Aber dafür haben wir das Geld nicht“, sagt Ruhnau. Und deshalb krempeln die Ehrenamtlichen vom VHAG, der noch Sponsoren sucht, wohl schon nach den Sommerferien die Ärmel hoch, um den Großraum-Straßenbahn-Triebwagen 1501 wieder flott zu machen. Und das soll möglichst „schnell“ gehen. Bis zum Jahre 2021. Dann wird diese für das Ruhrgebiet so typische Straßenbahn 70 Jahre alt – und soll wieder an die Oberfläche.