Essen. . Bei der Diskussionsveranstaltung „Essen kontrovers“ von NRZ und VHS ist dem Podium und 120 Gästen der andere Blick auf die Entwicklung gelungen.

Junge, häng nicht nur mit den schwarzen Kindern ab. Öffne dich dem Land, in dem du lebst und den Leuten, unter denen du lebst. Vergiss nie, woher du kommst, doch lerne die Sprache deiner neuen Heimat. Und zwar zack, zack.

Kommunikation ist das A und O

Serge Nathan Dash Menga tat, wie es sein Vater ihn geheißen und hörbar hat’s ihm gut getan: „Ich liebe diese Stadt. Jeder, der sich anpasst, wird mit offenen Armen empfangen“, sagt der Mann aus dem Kongo in einwandfreiem Deutsch. Menga ist Entertainer, seit 27 Jahren Bürger dieser Republik und setzt in diesem Land alles auf die Karte Kommunikation, wenn es um das Miteinander der Menschen geht. Spracherwerb sei das A und O.

Seine Wutrede auf Facebook nach den Übergriffen von Köln, die 56 Millionen Mal angeschaut wurde und ihm Audienzen bei Vize-Kanzler Sigmar Gabriel und Oberbürgermeister Thomas Kufen einbrachte, passt da bestens in das Bild des Auftritts, den Menga am Mittwoch in der Volkshochschule durchaus zu genießen scheint.

Lass uns reden mit den Fremden und mit den Flüchtlingen wie mit Freunden und erkläre ihnen, was wir von ihnen erwarten. Dann wird’s schon werden, heißt die Botschaft Mengas. Der können fünf Diskutanten und ein Moderator auf dem Podium sowie 120 Zuhörer, die den Weg zu der „Essen kontrovers“-Veranstaltung von NRZ und VHS gefunden haben, durchaus folgen – in einer entspannten Atmosphäre zu einem hochstrittigen Thema, ab und an kontrovers, aber ohne unnötige Spitzen.

„Und das ist erst der Anfang“, bemerkte Moderator Nikolaos Georgakis am Ende der gut zweistündigen Veranstaltung, bei der der griechischstämmige Journalist mit dem südländischen Charme eines intellektuellen Tennislehrers den Diskutanten die Bälle gekonnt zuspielte.

Interessanter Perspektivenwechsel

„Wir und die Flüchtlinge“ hieß das Thema des Abends, an dem engagierte Essener Bürgerinnen und Bürger auf dem Podium zu Wort kamen, die selbst einen Migrationshintergrund, eine eigene persönliche Zuwanderungsgeschichte haben. Menschen, die einen anderen Blick auf die Flüchtlingsdebatte pflegen und nicht die Brille mit angeborener Binnensicht tragen, obwohl sie allesamt Deutsche sind.

Wie Maria Cristina Fernandez y Garcia Lopez, die mit sieben Jahren als Kind einer spanischen Gastarbeiterfamilie nach Deutschland kam, für die CDU im Integrationsrat und seit Jahren beim Spanischen Elternverein aktiv ist. Wie der Rechtsanwalt Azzadine Karioh als Spross einer marokkanischen Bergarbeiterfamilie. Wie Ahmad Omeirat, der es als libanesisches Flüchtlingskind für die Grünen in den Rat der Stadt schaffte. Wie Yunus Ulusoy mit türkischen Wurzeln, der seit elf Jahren im Zentrum für Türkeistudien (ZfTI) arbeitet und dort für „Arbeitsmarkt und Integration“ zuständig ist.

Gemeinsam sorgten sie neben Serge Nathan Dash Menga für einen interessanten Perspektivenwechsel in der Flüchtlingsdebatte, die den einen nach Rechts, den anderen in den Wahnsinn und den dritten ins Ehrenamt treibt, wie es Georgakis formuliert.

"Wir werden noch viele Erfolgsgeschichten erleben"

„Seit den Vorfällen von Silvester werde ich häufiger nach meiner Herkunft gefragt“, schildert Azzadine Karioh seine jüngsten Erfahrungen. Der Jurist und Islamwissenschaftler ist sich sicher, dass die marokkanischen Jugendlichen, die neben anderen seit der Nacht von Köln besonders im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehen, keine Asylgründe haben, die sie antrieben, ihr Land zu verlassen. „Die sind aus Spaß nach Deutschland gereist“, sagt Karioh. Sie stammten häufig aus finanziell gut ausgestatteten Familien. Dass seine Landsleute wieder zurück in ihre Heimat sollen und Marokko von der Bundesregierung als sicheres Herkunftsland eingestuft wird, findet Karioh mehr als richtig: „Ich bin froh über diese Entscheidung.“

„Was wir zur Zeit erleben, ist nicht die Zukunft“, ist Yunus Ulusoy überzeugt, der sich selber als einer der Invasoren bezeichnet, die Anfang der 70er Jahre aus der Türkei nach Deutschland einreisten und die das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ damals über den Untergang der Städte und Haarlemer Verhältnisse spekulieren ließen. Nichts davon ist eingetreten. Im Gegenteil, sagt Ulusoy: Die Zuwanderungsgeschichte von 16 Millionen Menschen sei weitgehend eine deutsche Erfolgsgeschichte. „Ich rate deshalb zu mehr Gelassenheit. Nach 50 Jahren Migrationserfahrungen werden wir die jetzigen Herausforderungen bewältigen“, ist Ulusoy überzeugt, der deutliche Unterschiede zwischen damals und heute aber nicht ignorieren will: „Wir reisten an einem Freitag an und hatten am Montag Arbeit. Es war organisiert.“

50 Jahre später will Ulusoy dennoch nicht verstehen, wie einige tausend Flüchtlinge fast 580.000 Bürger dieser Stadt „so durcheinander bringen. Wir werden noch viele Erfolgsgeschichten erleben“.

"Hauptstadt der Zeltdörfer"

Zurzeit erlebt Maria Cristina Fernandez y Garcia Lopez eher Verteilungskämpfe, was vor allem an den zu knappen Ressourcen zum Beispiel beim Angebot der Sprachkurse liegt. „Die Schulen sind überlastet.“ Bei den Anmeldungen werde nicht unterschieden nach Sprachvermögen, was letztlich dazu führe, dass überforderte Flüchtlinge die Kurse wieder verlassen. Die Menschen müssten sich zentral einschreiben und nach ihren Fähigkeiten unterrichtet werden. „Und wieso heißt das eigentlich integration point?“, fragt die Spanierin nicht zu Unrecht: „In Deutschland wird doch Deutsch gesprochen.“

Das lerne aber niemand in einem Zeltdorf, gibt Ahmad Omeirat zu bedenken: „Solange wir Hauptstadt der Zeltdörfer sind, wird das nicht gelingen.“ In den libanesischen Familien sei die unterschiedliche Behandlung von syrischen Flüchtlingen auf der einen und den so genannten Geduldeten ein großes Thema. Die 13.000 Menschen, die zum Teil seit Jahrzehnten in diesem Land leben oder gar geboren wurden, sollten erst einmal eingebürgert werden, bevor die Syrer ein dreijähriges Niederlassungsrecht bekommen, fordert der Grüne Ratsherr, wissend: Die Welt ist nicht gerecht.

Doch betrachtet man sie aus dem Universum, meint Yunus Ulusoy, dann gibt es auf einmal keine Syrer, keine Nordafrikaner, keine Griechen, Spanier oder Deutsche mehr, allenfalls die Menschheit. Der andere Blick auf die Flüchtlinge, er ist gelungen an diesem Abend. Und das nicht nur von oben herab.