Essen. . Knapp acht Jahre nach dem Rausschmiss des umstrittenen Leiters Faruk Sen hat das Zentrum für Türkeistudien eine bemerkenswerte Entwicklung vollzogen.
Das „Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung“ sitzt seit 1999 an der Altendorfer Straße in der ältesten Krupp-Halle, die es noch gibt; sie war die Geschoss-Dreherei, produziert wurden Waffen.
Und es gab eine Zeit, da hat es heftig geknallt hier, obwohl Krupp längst raus war. Es war die Zeit von Faruk Sen, dem Mitbegründer des Zentrums. Er wurde entlassen im Juli 2008, nachdem er behauptet hatte, die Lage der Türken in Deutschland sei mit der der Juden während der Nazizeit vergleichbar.
Es war damals nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Sen, der dem Vernehmen nach heute in Istanbul lebt und nur noch wenige Kontakte nach Essen hat, war „Netzwerker“ in NRW, bevor man das Wort überhaupt kannte. Sen, von Hause aus Betriebswirt, suchte demonstrativ die Nähe zur Wirtschaft, holte Ex-Vorstandsleute ins Zentrum, lud Minister ein, machte das Zentrum zur Bühne für Mächtige, gerne ab Landes-Ebene aufwärts. Und beim Zuckerfest gab es traditionell ein Foto mit dem Oberbürgermeister. Sen war präsent, entsprechend geräuschvoll sein Abgang, es folgte unweigerlich die große Leere. Leute aus dem Umfeld des Hauses berichten, dass dies die schwerste Zeit für das Zentrum wurde.
Mehr als ein neues Etikett
Entsprechend gründlich suchte man einen Nachfolger; wurde erst zwei Jahre später fündig: Berufen wurde Halil-Haci Uslucan, Experte für pädagogische Psychologie. Uslucan übernahm gleichzeitig einen Lehrstuhl an der Uni Duisburg-Essen, Moderne Türkeistudien und Integrationsforschung. Folglich wurde der Name des Zentrums für Türkeistudien erweitert: um das Wort „Integrationsforschung“.
Dies war mehr als ein neues Etikett, sondern sollte in die neue Richtung weisen. Uslucan erwies sich, wie man heute weiß, als Glücksgriff. Er ist kein Mann der großen Geste, sondern mit Leib und Seele Forscher. „Wir beleuchten das Innenleben der Integration“, hat er neulich gesagt, um zu erklären, welche Themen ihn und seine insgesamt 20 Mitarbeiter umtreiben. Beispiele: Warum junge Deutsche zu Dschihadisten werden. Welches Ausbildungs-Potenzial türkische Unternehmen haben. Wie türkische Migranten ihr Geld anlegen. Welche Gewalt immer noch eine Rolle spielt in der Erziehung, und was daran Vorurteil ist. Was Väter mit Migrationsgeschichte bewegt.
Uslucan und sein Zentrum haben es damit weit gebracht. Sie beraten die Bundesregierung in Berlin, arbeiten Projekte aus im Namen des Bundesamtes für Migration. Das Zentrum bewertet offiziell fürs Land NRW die Arbeit der „Kommunalen Integrationszentren“ (früher RAA), begleitet wissenschaftlich den Islamkunde-Unterricht an Schulen, hat eine Studie erstellt über das gesamte Moschee-Angebot in Deutschland. Und Uslucan, das nur nebenbei, ist Vizechef des Sachverständigenrats der deutschen Stiftungen für Integration. All das hängt man an der Altendorfer Straße nicht an die große Glocke. Vielleicht ist das etwas schade. Im Zentrum ist man selbst der Meinung, die Öffentlichkeitsarbeit könne womöglich besser sein. Allein, um das Einwerben von Drittmitteln zu erleichtern. „Doch allein für die Öffentlichkeit“, heißt es, „arbeiten wir nicht.“ Was ganz sicher gut so ist.
Neue Zusammenarbeit mit der Volkshochschule
Das Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) und die Volkshochschule (VHS) haben in dieser Woche eine offizielle Zusammenarbeit vertraglich vereinbart. „Wir haben schon in vielen einzelnen Projekten kooperiert, doch jetzt wollten wir den Schritt offiziell machen“, sagen Michael Imberg, VHS-Direktor, und Andreas Goldberg, Geschäftsführer beim Zentrum für Türkeistudien.
Deutliches Zeichen der Zusammenarbeit ist jetzt eine Berufs- und Ausbildungsmesse in der VHS, die erstmals den Zusatz „Interkulturell“ erhält. Sie richtet sich in erster Linie an die jungen Erwachsenen, die an der VHS ihren Schulabschluss nachholen. 25 Firmen stellen sich am Freitag, 18. März, in der VHS den jungen Absolventen vor, erstes Kontakte-Knüpfen wird möglich. Neu ist, dass jetzt auch Firmen dabei sind, die von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gesteuert werden: Zum Beispiel „Ayyo“, namhafter Hersteller des Joghurtgetränks Ayran, mit Sitz in Altenessen. „Viele mittelständische Firmen konnten wir für die Messe gewinnen“, berichten Heike Hurlin (VHS) und Cem Sentürk, der im ZfTI die Servicestelle „Kausa“ leitet, ein Büro, das Jugendlichen mit Migrationsgeschichte beim Weg in den Arbeitsmarkt unterstützt. Kontakt: sentuerk@kausa-essen.de