Essen. . Die Redaktion sammelt bis Ostern Berichte über den Unterrichtsausfall. Fest steht schon jetzt: Es fällt mehr aus, als das Land offiziell angibt.

Mehr als 40 der knapp 200 Essener Schulen sind derzeit im Blickpunkt – die Redaktion hatte Eltern im Stadtgebiet Ende Januar dazu aufgerufen, den Unterrichtsausfall ihrer Kinder regelmäßig für uns zu dokumentieren. Vor zwei Wochen starteten wir die Aktion. Rund 100 Eltern machen mit, deren Kinder an etwa 40 Schulen gehen.

Noch ist es sicher zu früh für eine Bilanz – doch was sich schon jetzt abzeichnet, ist: Es fällt garantiert mehr Unterricht aus, als das Land NRW stets als offizielle Ausfall-Quote bezeichnet. Die liegt offiziell nämlich nur bei 1,7 Prozent.

Neben den regelmäßigen Ausfall-Reports, die uns jetzt unter der Mail-Adresse unterrichtsausfall@waz.de erreichen, haben uns auch viele Betroffene geschrieben, um ihre persönlichen Erfahrungen zu schildern.

Was Eltern sagen

„Endlich kümmert sich mal jemand um dieses Thema“ – so klingen viele Zuschriften, die uns nach unserem Aufruf erreicht haben. Eine Mutter berichtet, dass sie ihre jüngere Tochter (13) vom Gymnasium auf die Gesamtschule wechseln lassen will, und die ältere Tochter (16) habe bereits beschlossen, nach der „Q1“ jetzt im Sommer abzugehen – ein Jahr vor dem Abitur: Sie werde es nicht schaffen, hat die Familie festgestellt; und das liege auch am massiven Unterrichtsausfall der letzten Monate. „Wochenlang gab es kein Mathe, und ihre Schwester erhielt wochenlang kein Englisch.“ Lehrer wurden dauerhaft krank, die Vertreter dann auch und am betroffenen Gymnasium würden sehr viele junge Kolleginnen unterrichten, berichtet die Mutter. Was womöglich erst mal gut klinge – bloß: „Das Problem der Schwangerschaften und Mutterschutz-Zeiten ist gravierend.“ Jetzt, in diesem Schuljahr, nach den massiven Ausfällen im Jahr 2015, „hagelt es nur noch Fünfen“ bei der großen Tochter. Ihre Konsequenz: „Sie möchte eine Ausbildung machen, will aufs Abi verzichten.“

SchuleAndere Eltern von Oberstufen-Schülern berichten, wie systematisch der Ausfall verschleiert wird: „In der Oberstufe fällt offiziell keine einzige Stunde aus“, erzählt ein Vater, dessen Kinder auf eine Gesamtschule gehen. „Ist der Lehrer nicht da, wird die Stunde zur EVA-Stunde erklärt.“ EVA ist das offizielle Kürzel für „Eigenverantwortliches Arbeiten“, gilt landesweit offiziell als pädagogische Methode. Wie „EVA“ praktisch aussieht, berichten viele Väter und Mütter übereinstimmend: „Unsere Kinder können dann Hausaufgaben machen oder sogar mit dem Handy spielen.“ Viele Eltern kritisieren, dass Lehrer zu viele Sonder- und Verwaltungsaufgaben hätten, die sie vom Unterricht abhielten: „Ständig heißt es, der Kollege ist mit etwas anderem beschäftigt“, beklagt sich eine Mutter. Ein Vater, der selbst den Ausfall dokumentiert hat, kam auf eine Quote von „deutlich über zehn Prozent“. „In diesem Schuljahr waren es schon 80 Stunden.“

Was Schüler sagen

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Wer glaubt, Schüler freuen sich über ausgefallene Stunden, der irrt. „Letztes Jahr im zehnten Schuljahr ist bei uns der Mathe-Unterricht im Grundkurs zwei oder gar drei Monate dauerhaft ausgefallen. Zwischenzeitlich hatten wir gar keinen Mathe-Unterricht und hatten dann für einen kurzen Zeitraum einen Studenten, der uns in Mathe unterrichtet hat.“ Das schreibt uns eine Gymnasiastin. „In der Q1 (Stufe elf) ist bei uns Anfang des Jahres Englisch in der Woche teilweise die Maximalzeit ausgefallen (vier Unterrichtsstunden), da wir kein Personal hatten, das den fehlenden Lehrer ersetzt hat. Zu Anfang der Q1 ist bei uns zudem noch häufiger unser Leistungskurs ausgefallen, vor allem im Fach Deutsch. Die Leistungskurse finden normalerweise vier bis sechs Stunden die Woche statt und haben teilweise mal nur zwei Stunden lang oder gar nicht stattgefunden.“

Was Lehrer sagen

Uns beschäftigt der Unterrichtsausfall, doch manche Betroffene schildern uns auch das Drama der fachfremd unterrichteten Stunden: Mangels geeigneter Lehrer wird ein beträchtlichter Teil des Unterrichts von Personal erteilt, das eigentlich nicht qualifiziert ist. „Alle reden dabei immer über die Naturwissenschaften“, schildert uns ein Lehrer, der zuständig ist für die Ausbildung von Politik-Pädagogen. „Doch Fächer wie Sozialwissenschaften oder Gesellschaftskunde werden teilweise zu 75 Prozent fachfremd unterrichtet, wenn überhaupt.“ Die Schulen legten auf dieses Fach „überhaupt keinen Wert mehr“.