Dortmund/Essen. . 1986 wurde Dirk K. wegen Mordes am siebenjährigen Nara-Michael in Essen verurteilt. Das Landgericht Dortmund rollt den Prozess nun wieder auf. Dirk K. (52) wurde sofort auf freien Fuß gesetzt.

  • Dirk K. (52) soll 1985 den siebenjährigen Jungen Nara-Michael im Essener Ortsteil Stadtwald umgebracht haben
  • 31 Jahre lang hatte der als geistig behindert geltende Dirk K. in den geschlossenen Abteilungen von Landeskliniken gesessen
  • Das Landgericht Dortmund hat am Dienstag das Wiederaufnahmeverfahren des Dirk K. (52) zugelassen

Droht der Justiz ein neuer Fall Mollath? Hat erneut ein Unschuldiger jahrelang in der geschlossenen Psychiatrie gesessen, weil er zu Unrecht wegen Mordes verurteilt wurde? Das Landgericht Dortmund hat am Dienstag das Wiederaufnahmeverfahren des Dirk K. (52) zugelassen, der laut Urteil des Essener Landgerichtes 1985 einen siebenjährigen Jungen im Essener Ortsteil Stadtwald umgebracht haben soll. Umgehend setzte es ihn jetzt auf freien Fuß.

Der Fall wird also neu aufgerollt, Ende offen. 31 Jahre lang hatte der als geistig behindert geltende Dirk K. in den geschlossenen Abteilungen von Landeskliniken gesessen. Jedes Jahr beurteilten Gutachter und die Gerichte, ob von ihm eine Gefahr ausgeht. Und jedes Jahr bejahten sie dies. Zuletzt bekam Dirk K. es am 26. März 2015 zu hören, dass die Justiz es weiterhin nicht verantworten will, ihn in die Freiheit zu entlassen.

Hinweis Nr. 81 hatte die Polizei 1985 auf die Spur von Dirk K. gebracht. Fieberhaft hatte sie nach dem Mörder des sieben Jahre alten Nara-Michael gesucht. Der Junge war am Montag, 22. April 1985, nicht mehr vom Spielplatz aus in sein Elternhaus zurückgekehrt.

Missbraucht und erwürgt im Schellenberger Wald gefunden

Am Dienstagmorgen entdeckte die Polizei ihn unter einem Ilexgebüsch im Schellenberger Wald, nur 300 Meter entfernt von zu Hause. Entkleidet lag seine Leiche da, offenbar war Nara-Michael sexuell missbraucht und erwürgt worden.

So berichtete die WAZ 1985 im Essener Lokalteil über den Mordfall.
So berichtete die WAZ 1985 im Essener Lokalteil über den Mordfall.

Am 29. April nahm die Polizei Dirk K. fest, einen erst 21 Jahre alten geistig Behinderten aus der Nachbarschaft des Toten. Bei seiner Vernehmung soll er die Tat gestanden haben. Er habe den Jungen am Spielplatz angesprochen. Nara-Michael sei aber weggelaufen. Dirk K. hinterher, schnell habe er ihn eingeholt. Den Beamten soll Dirk K. gestanden haben, dass er den Jungen missbrauchte und schließlich erwürgte, weil dieser nicht aufgehört habe zu schreien.

Dieses Geständnis wiederholte der Verdächtige nicht mehr. Dem Essener Schwurgericht reichten die Beweise aber aus, ihn als Täter einzustufen. Weil er schuldunfähig war, sprach das Gericht ihn zwar am 11. November 1986 vom Vorwurf des Mordes frei. Weil er gefährlich sei, wies es ihn aber in die geschlossene Psychiatrie ein.

Anwalt des Geständigen meldete sich 1997, zwölf Jahre nach dem Mord

Dort blieb er, galt als nicht therapierbar und gefährlich. Daran änderte sich auch nichts, als ein Anwalt sich 1997 bei den Ermittlern meldete. Einer seiner Mandanten, der in Therapie säße, habe den Mord an Nara-Michael gestanden. Zwölf Jahre nach dem Mord. Die Polizei prüfte das Geständnis und bewertete es als bedeutungslos. Birgit Jürgens, aktuell für Mordermittlungen in der Essener Staatsanwaltschaft zuständig, sagt, das Geständnis habe auch nicht zu den objektiven Gegebenheiten gepasst.

Dirk K. bleibt weiter eingesperrt – bis der auf Unterbringungsrecht spezialisierte Hamburger Rechtsanwalt Achim Lüdeke Kontakt zu ihm bekommt und das Geständnis des anderen Mannes entdeckt.

Lüdeke beantragt die Wiederaufnahme, doch das zuständige Dortmunder Schwurgericht weist den Antrag zurück. Auf Lüdekes Beschwerde wird dieser Beschluss aber vom Oberlandesgericht Hamm aufgehoben, Dirk K. bekommt an einer anderen Dortmunder Kammer eine zweite Chance. Und tatsächlich: Die 39. Strafkammer genehmigt die Wiederaufnahme. Pressesprecher Kay Holtgrewe: „Die Kammer geht davon aus, dass das Landgericht Essen anders entschieden hätte, wenn das Geständnis von 1997 bereits 1986 bekannt gewesen wäre.“ Anwalt Lüdeke ist „schon optimistisch“, dass Dirk K. in einer neuen Hauptverhandlung nicht verurteilt wird. Ein Termin für diesen Prozess ist noch nicht angesetzt.

„Es gilt die Unschuldsvermutung, wir haben auch keinen dringenden Tatverdacht mehr“

Juristisch ist jetzt alles auf den Stand der Anklage von 1985 zurückgestellt. Dirk K. ist zwar frei, lebt jetzt aber in einer Essener Einrichtung, die Straftäter mit psychischen Problemen betreut. An einen Antrag, ihn wegen seiner noch 2015 bescheinigten Gefährlichkeit vorläufig wieder in der geschlossenen Psychiatrie unterzubringen, denkt die Dortmunder Staatsanwaltschaft nicht. Sprecher Henner Kruse: „Es gilt die Unschuldsvermutung, wir haben auch keinen dringenden Tatverdacht mehr.“

Der Mann, der 1997 die Tat gestanden hatte, ist vom Dortmunder Gericht auch gehört worden, als es nichtöffentlich prüfte, ob die Wiederaufnahme zulässig ist. Da soll er sein Geständnis nicht wiederholt haben. Gegen ihn führt die Staatsanwaltschaft Essen immer noch ein Ermittlungsverfahren, sie sieht ihn eher nicht als schuldig. Staatsanwältin Birgit Jürgens: „Ich warte den Dortmunder Beschluss ab. Bislang habe ich aber keinen Haftbefehl beantragt, weil ich keinen dringenden Tatverdacht habe.“