Essen-Bredeney. Gabriele Carr, Enkelin des Unternehmers Emil Wolff, schmerzt immer noch der Abriss des Gründerzeit-Gebäudes auf der Frankenstraße vor vierzig Jahren.
Immer wenn Gabriele Carr aus Heisingen die alten Schwarz-Weiß-Bilder von der Villa ihres Großvaters betrachtet, steigt Wehmut in ihr auf. Denn der Prachtbau aus dem Jahre 1904 – eine architektonische Augenweide – steht schon lange nicht mehr. Vor genau vierzig Jahren ließen sie in der Frankenstraße die Abrissbirne wüten. In der Rubrik „Essen vor 40 Jahren“ erinnerte diese Zeitung an den Sündenfall, einen, der in Essen (leider) keine Seltenheit ist. „Was die Bomben des Zweiten Weltkriegs nicht geschafft haben, erledigte der Abrisswahn in den siebziger Jahren“, bedauert die Nachfahrin der Unternehmerfamilie Wolff. Und sie fügt hinzu: „Es tut mir weh, dass das alles einfach weg ist.“
Die Fotos von der „Waldhof“ genannten Villa nehmen den Betrachter mit auf eine packende Zeitreise in die Blütezeit des Kaiserreichs: eine Boom-Ära, in der Kohle und Stahl den Takt im Ruhrgebiet bestimmen, ein produktives, prosperierendes Zeitalter, das – politisch stockkonservativ und weltmachttrunken – nur so strotzt vor Optimismus und Begeisterung für technischen Fortschritt. „Mein Großvater Emil Wolff aus Solingen, ein fleißiger Mann aus bescheidenen Verhältnissen, hat in Essen aus eigener Kraft eine blühende Maschinenfabrik und Eisengießerei aufgebaut.“ 1885 war das – drei Jahre bevor Krupp-Freund Wilhelm II. den Hohenzollern-Thron besteigen sollte.
"Kein Ort zum Toben"
Der zwanzig Jahre später in Bredeney – nicht weit vom Kruppschen „Hügel“ – mitten in einem riesigen Park errichtete „Waldhof“ spiegelt beides wider: wilhelminischen Geist und natürlich unternehmerischen Erfolg. Der repräsentative Gründerzeit-Bau mit Balkonen und Gauben, Erkern und Säulen zählte nicht weniger als drei Dutzend Zimmer. Reichlich Jugendstil und neo-klassische Elemente lockern das Erscheinungsbild des an sich wuchtigen Baukörpers auf. Der Blick ins Innere erinnert an großbürgerliche Pracht, wie sie Thomas Mann in den „Buddenbrooks“ stimmungsvoll beschrieben hat. Die schweren Deckenleuchter und massiven Möbelstücke, die repräsentative Halle mit dem prächtigen Kamin, der lackschwarze Flügel und die stoffbespannten Wände verdichten sich zu einem Gesamtbild voller Harmonie und Eleganz. Allein schon das mit Holz ausgeschlagene Treppenhaus verrät, wie sehr die Villa Hügel den Baumeister des Waldhofs inspiriert haben muss.
Und welcher Geist herrschte im Haus? „Meine beiden älteren Schwestern kennen den Waldhof sehr gut“, erzählt die pensionierte Lehrerin, „nun ja, sonntags mussten sie dort antreten: herausgeputzt und mit Schleifchen im Haar“. Geregelt, vielleicht auch ein bisschen steif, ging’s damals im Waldhof zu – und so hatte auch das Personal seinen festen Platz. Unvorstellbar, dass die Köchin, die gute Fee des Hauses, das Mittagessen am selben Tisch mit der feinen Gesellschaft einnahm. „Die ältere Generation legte großen Wert auf Formen, deshalb war die Villa nicht unbedingt ein Ort zum Toben“, lächelt die Wolff-Enkelin.
Abriss markiert Untergang einer Epoche
Der Waldhof erzählt nicht nur die Geschichte vom stürmischen Aufstieg Emil Wolffs, sondern auch von den Brüchen in seiner Biografie. Im Frühjahr 1945, ein Jahr vor seinem Tod, beschlagnahmten die Alliierten die Villa – und räumten sie komplett aus. In diesem wenig vorteilhaften Zustand lernt Gabriele Carr sie kennen, als sie, die Zehnjährige, 1952 zum ersten Mal das Elternhaus ihres Vaters Walter betritt. „Alles war leer, ein trauriger Anblick.“
Weil weder Emil Wolffs einziger Sohn noch seine vier Töchter den Waldhof halten können, geht er 1952 über in den Besitz des renommierten und erfolgreichen Stumm-Konzerns.
Dieser wandelt das geräumige „Einfamilienhaus“ um zum Sitz seiner Hauptverwaltung, von der aus das weit verzweigte und Kohle-und-Stahl-Imperium gelenkt wird – bis zur spektakulären Pleite 1975, durch die 14.000 Beschäftigte ihre Arbeit verlieren. Wenig später rückt die Abrissfirma an. „Der Abriss markiert zugleich den endgültige Untergang einer Epoche, ja, das Ende großbürgerlicher Lebensart“, sagt Gabriele Carr.