Gelsenkirchen. . Große Bohrmaschinen wühlen sich für den neuen Abwasserkanal der Emscher durch die Erde - jetzt ist das längste Teilstück fertig.
Erst ist nur ein Brummen zu hören, dann bilden sich Risse in der runden Betonwand, die sie unten in den großen Schacht gegossen haben. Kurz staubt es, Sekunden später stürzen Wasser und Schlamm aus dem immer größer werdenden Loch im Beton. Und dann ist sie durch, die „Isabel“ genannte Bohrmaschine – ein schweres Monster, das sich derzeit mit seinen scharfen Zähnen und Klauen durch das Ruhrgebiet frisst. Oder genauer gesagt: darunter her. Nicht des Bergbaus wegen, sondern um Platz zu schaffen für den „Abwasserkanal Emscher“, den „Emscherschnellweg unter Tage“. Gestern wurde in Gelsenkirchen der Bauabschnitt 30, der längste Einzelabschnitt des Projektes, eingeweiht.
Von Dortmund bis nach Bottrop geht die unterirdische Röhre. 42,8 Kilometer lang ist sie inklusive Zuläufen und hat 423 Millionen Euro gekostet. Was das Projekt zur teuersten Einzelinvestition in der Geschichte der Emschergenossenschaft macht, wie der Vorstandsvorsitzende Jochen Stemplewski zu berichten weiß. Deshalb wurde gestern in Gelsenkirchen auch gefeiert – mit Currywurst und Gulaschsuppe.
2020 soll der Abwasserkanal Emscher fertig sein
Von „Meilenstein“ war da die Rede, von „Jahrhundertprojekt“ wurde gesprochen, und wer sich ein bisschen auskennt mit der Materie, der weiß, dass beides nicht übertrieben ist. Schließlich ist der Abwasserkanal Emscher (AKE), im Volksmund Emscherkanal genannt, das Herzstück der Renaturierung des Flusses. Ist er fertig, was wahrscheinlich 2020 der Fall ist, dann wird er von Dortmund über Castrop-Rauxel, Recklinghausen, Herne, Herten, Gelsenkirchen, Essen und Bottrop bis nach Dinslaken in gut 20 bis 40 Meter Tiefe das bisher direkt durch den Fluss abgeleitete Abwasser aufnehmen. Und darüber soll es nicht mehr stinken, soll die Landschaft wieder schön werden, soll sie „vom Hinterhof zum Vorgarten werden“, wie es Stemplewski nennt.
Wie gut das funktioniert, wusste gestern der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau zu berichten, in dessen Stadt der Kanal bereits seit 2010 in Betrieb ist. Von der Quelle in Holzwickede bis zur Kläranlage in Dortmund-Deusen ist die Emscher dort seitdem abwasserfrei. Von „völlig neuen Erlebnissen“ schwärmte er. Nicht nur beim Wohnen und in der Freizeit, sondern auch „beim Investorenverhalten“.
„Liegen voll im Zeitplan“
Damit auch seine Amtskollegen das alles möglichst schnell erleben können, hat die Emschergenossenschaft ordentlich aufs Tempo gedrückt. „Wir liegen voll im Zeitplan.“ Zeitweise waren neun Bohrmaschinen parallel im Einsatz. Jede zwölf Meter lang und 130 Tonnen schwer. „Richtige Oschis“, sagt Stemplewski. Mit im Schnitt rund 15 Metern am Tag haben sie in dem jetzt fertiggestellten Abschnitt den Platz freigeschaufelt für über 10 000 Rohr-Elemente, die in die Tunnel gedrückt wurden und die zusammen knapp 214 000 Tonnen wiegen. „50 000 Tonnen mehr als der Kölner Dom“, hat einer bei der Genossenschaft ausgerechnet.
Die Inspektionen macht ein Roboter
In Bottrop liegt bereits seit Ende 2013 ein zirka 3,5 Kilometer langer Abschnitt des Abwasserkanals, der Bauabschnitt 20.
Am Bauabschnitt 40 zwischen Bottrop-Süd und Oberhausen-Holten baut die Emschergenossenschaft seit September 2014.
Die Rohrleitungen werden im Mittel mit einem Gefälle von 1,5 Promille verlegt.
Nach Fertigstellung wird der Kanal ständig mit Abwasser gefüllt sein und daher nicht begehbar sein. Inspektionen erfolgen mit einem Roboter.
Ein Spaziergang war das alles nicht für die Mitarbeiter der beauftragten Baufirmen. „Vor der Hacke ist es duster“, zitiert Stemplewski die alte Bergbauweisheit und erzählt von rund 8000 Stellen, an denen der Kanal Leitungen und Trassen von 200 unterschiedlichen Betreibern gekreuzt hat. Gut 900 davon konnten zunächst nicht zugeordnet werden. „Da war viel Detektivarbeit gefragt“, weiß Stemplewski.
Ein Mammut-Zahn wurde gefunden und mancher Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Aber all’ das hat die Emschergenossenschaft gemeistert. „Keine nennenswerten Unfälle“, freut sich der Vorstandsvorsitzende und hofft, dass das so bleibt.
Denn auch wenn das längste Teilstück nun fertig ist, bleibt noch viel zu tun. Schließlich sollen auch alle Zuflüsse der Emscher an das Kanalsystem angeschlossen werden. Trotzdem ist Stemplewski zuversichtlich, dass der Kanal pünktlich seinen Betrieb aufnehmen kann. Nicht wie der neue Bahnhof in Stuttgart oder gar der Flughafen in Berlin. „Der Emscherkanal“, freut er sich, „ist endlich mal ein Großprojekt, das funktioniert.“