Essen. . Nach einer Vergewaltigung unter geistig behinderten Menschen wird ein 46-Jähriger verurteilt. Ein Teddy hilft dem Opfer bei der Aussage vor Gericht.
63 Jahre alt ist die Frau, aber ohne ihren Teddybär möchte sie vor Gericht nicht aussagen. Und so sitzt der kleine Bär vor ihr auf dem Zeugentisch, hilft ihr, dem Schöffengericht von der Vergewaltigung zu erzählen. Geistig behindert ist die Frau, aber ihre Worte überzeugen das Gericht. Den Angeklagten, 46 Jahre alt und ebenfalls geistig behindert, verurteilt es zu zwei Jahren Haft – mit Bewährung.
„Habe ich das richtig gemacht?“, fragt die Frau oft. Ihr ist auch „bange“, dass sie Ärger bekommt und ins Gefängnis muss. Amtsrichter Daniel Klees beruhigt sie ein ums andere Mal. Schwören will sie auch, „sonst glaubt Ihr mir ja nicht“. Aber der Eid sei nicht nötig, sagt Klees.
Sensibilität ist gefragt in diesem Prozess. Der Angeklagte aus Bergerhausen, der in einer Werkstatt für geistig Behinderte arbeitet, schweigt zunächst. Am 13. März hatten sie zu viert in einer Außenwohngruppe des Franz-Sales-Hauses in Huttrop gefeiert. Dort wohnte damals das spätere Opfer. Süßigkeiten gab es und Wein. „Wir hatten viel Spaß, haben gelacht“, erzählt die 63-Jährige, die geistig auf dem Niveau eines Kindes scheint.
Zum Rauchen in den Garten
Gegen 23 Uhr seien sie zum Rauchen in den Garten gegangen. Dort, so die Anklage, habe der 46-Jährige sie an die Hand genommen. Er habe sie zum Zaun im abgelegenen Teil des Gartens geführt und sie gegen ihren Widerstand vergewaltigt. Dabei soll er ihre Hände festgehalten haben. Erst ihr kräftiger Tritt gegen seinen Fuß beendete die Tat.
Erst drei Wochen später war die Frau zur Polizei gegangen, um den Angeklagten anzuzeigen. Warum so spät, fragt der Richter. Früher, so sagt sie, hätte es im Heim strenge Betreuer gegeben: „Da wurde man bei so etwas gleich verprügelt.“ Erst mit Hilfe ihres Neffen, dem sie sich anvertraute, gab es ein Gespräch mit den Betreuern und den Gang zur Polizei.
„Sehr glaubhaft, sehr überzeugend“ – so beschreibt Richter Klees später die Aussage der Frau. Ungefragt war sie aufgesprungen, um die Bewegungen des Angeklagten nachzustellen. „Was soll das“, habe sie ihn gefragt, als er ihr die Hose herunterzog. Und während der Tat: „Aua, das tut weh.“ Es war ihr erster Geschlechtsverkehr. Einmal wäre es vor Jahren mit einem anderen Mann fast dazu gekommen, erzählt sie weiter und beschreibt ihn anschaulich als einen aus ihrer Gruppe: „Auch ein Irrsinniger.“
Unangenehme Details
Mehrfach bricht sie in Tränen aus. Sie verstummt, wenn es um intime Details geht. Sie sind ihr unangenehm. Aber dann gibt sie sich einen Ruck und erzählt auch das. Als Verteidigerin Melanie Schumann-Gooß sie fragt, woher sie denn weiß, was eine Vergewaltigung sei, erklärt sie das schnell: „Ich gucke manchmal Pornos.“
Zeugen aus der Wohngruppe bestätigen, dass die 63-Jährige ihnen kurz nach der Tat von der Vergewaltigung erzählt habe. Sie hätten dann den Angeklagten angesprochen, der die Tat ihnen gegenüber zugegeben hätte. Ihn beeindrucken die Zeugenaussagen wohl derart, dass er danach ein Geständnis ablegt.
Absolute Kurzschlusshandlung
Zwei Jahre Haft ist die Mindeststrafe für eine Vergewaltigung. Weil die Gewalt am unteren Rand lag und es sich um „eine absolute Kurzschlusshandlung“ handelte, sah das Gericht kein Problem, dem Täter Bewährung zu geben. „Gefängnis wäre der falsche Weg“, hatte schon Staatsanwältin Katja Himmelskamp erkannt. Sie sah in dem bislang nicht vorbestraftem Mann keine Gefahr, der Abend sei wohl aus dem Ruder gelaufen. „Sie machen das ja nicht noch einmal“, sprach sie den Angeklagten an, und der schüttelte sofort den Kopf.
Die 63-Jährige hat ihre eigene Deutung für das Motiv des Angeklagten: „Er sollte vielleicht keinen Wein trinken.“ Als sie fertig ist, nimmt sie ihren Teddy und schüttelt Hände: die des Richters, der beiden Schöffinnen, der Staatsanwältin, der Verteidigerin, des Angeklagten und seines Betreuers. Nach dem Urteil gibt es noch einen Satz fürs Gericht: „Danke fürs Helfen.“