Essen-Südostviertel. . Während andere Quartiere aufgewertet werden, verwahrlost die Steeler Straße zwischen Bahnhof und A40 zusehends. Die meisten Geschäfte stehen leer.
Gähnender Leerstand hinter verschmutzten Schaufensterscheiben. Ohrenbetäubender Verkehrslärm, der von der A40, der Straßenbahn und den nahen Bahngleisen ans Ohr dringt. Lieblos gekritzelte Graffiti auf Stromkästen, Hauswänden und Türen. Verdreckte Fassaden schmuckloser Häuser, die zum Teil getrost als Bausünden bezeichnet werden können: Keine Frage, das Teilstück der Steeler Straße zwischen Autobahnbrückenkopf und Bahnüberführung an der Ecke Auf der Donau gehört sicherlich nicht zu Essens Schmuckkästchen. Da liest es sich wie ein verzweifelter Hilferuf, wenn die Stadtteilpolitiker der Bezirksvertretung I die Verwaltung um Prüfung bitten, was man denn gegen den seit Jahren grassierenden Leerstand tun könne.
„Wenn wir nicht an die Eigentümer der Immobilien heran kommen, wird eine Veränderung schwierig“, sagt SPD-Politiker Christian Kaiser, der für das Südostviertel im Stadtrat sitzt. Er hat von einigen Erbengemeinschaften gehört, die Eigentümer gleich mehrerer Häuser sein sollen. Nichts genaues weiß man nicht. Nur, dass es einige Vermieter offenbar nicht sonderlich kümmert, was in dem Quartier passiert. Anders jedenfalls lässt sich die zunehmende Verwahrlosung kaum erklären.
Kaum Laufkundschaft
„Die Lage ist auch deswegen so unattraktiv, weil es in dem Bereich kaum Laufkundschaft gibt, abgesehen vielleicht von einigen Kindern und Jugendlichen der angrenzenden Schulen“, sagt Immobilienmakler Ulrich Lilienthal von Brockhoff & Partner, der bereits seit 28 Jahren für Vermietungen im Bereich der Steeler Straße zuständig ist. „In diesem unteren Bereich Richtung Innenstadt können sie als Vermieter froh sein, wenn die Nebenkosten abgedeckt werden“, sagt Lilienthal, der die Ladenmiete zwischen fünf und zehn Euro pro Quadratmeter schätzt. Ganz im Gegensatz zum oberen Bereich der Steeler Straße, wo trotz des spürbaren Strukturwandels noch höhere Ladenmieten abgerufen werden können.
Bezirksbürgermeister Frank Mußhoff erhofft sich einen positiven Effekt von den anstehenden Veränderungen auf dem Stück zwischen Wasserturm und Oberschlesienstraße. Nachdem in einem ersten Schritt die zeitlich befristeten Halteverbote aufgehoben werden, ist in einem zweiten Schritt der zweispurige Umbau geplant. Perspektivisch soll auch eine umsteigefreie Straßenbahnverbindung vom Südostviertel bis zum Hauptbahnhof geschaffen werden. Wann all diese Maßnahmen kommen, ist aber ungewiss.
„Hier gilt das Prinzip Hoffnung“
„Es ist bedauerlich, dass dieser Bereich im Gegensatz zu manch anderen schwierigen Vierteln nie als förderungswürdig angesehen wurde. Dabei ist die Innenstadt fußläufig zu erreichen und könnte auch hier mit gutem Willen etwas bewegt werden“, findet Frank Mußhoff. Die Schließung der Post und vieler Fachgeschäfte liege zwar lange zurück, richtig in den Tritt gekommen sei die Straße danach aber nie wieder.
Wie es hier einmal ausgesehen haben muss, daran erinnert noch die ausgeblichene Firmeninschrift auf der Fassade eines der wenigen verbliebenen Jugendstilhäuser: „Maßkonfektion Weber“ ist dort in feinsäuberlicher Schreibschrift zu lesen, heute überschmiert mit unleserlichem Edding-Gekritzel. Ein Bild, das wie kein anderes für den Verfall steht. „Hier gilt das Prinzip Hoffnung“, sagt Ratsherr Christian Kaiser. Das von der Stadt aufgelegte Fassadenprogramm nutzen, Kooperationen mit dem Kulturzentrum Storp 9 einstielen, leerstehende Geschäfte Künstlern und Kreativen zur Verfügung stellen: Ideen hat der junge Politiker. „Dafür“, sagt er, „bräuchte es aber einen runden Tisch, an dem sich alle Beteiligten zusammensetzen.“
Resignation im ehemaligen Olympia-Theater
Andreas Wilhelm ist genervt. „Zwei Mal am Tag müssen wir um das gesamte Gebäude fegen und den Müll einsammeln“, sagt der Geschäftsmann und deutet auf einen Berg winziger Scherben. „Von einem Autoaufbruch“, fügt er trocken hinzu. Im Oktober 2012 eröffnet Herrmann sein Geschäft für hochwertige Herrenbekleidung in großen Größen in den Räumen des ehemaligen Olympia-Theaters. Um die Schwierigkeiten im Viertel weiß er. „Die meisten unserer Kunden kommen von weiter her. Deswegen war mir ein großer Parkplatz wichtig“, begründet Wilhelm seine Entscheidung. Die A40-Dauerbaustelle habe damals dafür gesorgt, dass viele Kunden dem Stammsitz in Dortmund fern blieben, deswegen habe er sich in Essen niedergelassen.
Einen Schritt, den er heute bereut. „Ich hätte nicht gedacht, dass das schlechte Image die Kunden trotz unserer ,Insellösung’ abhält“, sagt er heute. Mittlerweile sei die Filiale ein Zuschussgeschäft, hat Wilhelm die Verkaufsräume bereits um 500 auf 380 Quadratmeter verkleinert.
Rund eine Million Euro habe er in die Hand genommen, um das historisch wertvolle, allerdings nicht denkmalgeschützte Haus zu sanieren. Er liebe alte Häuser und vor allem ihre Geschichte: „Frank Zappa hat hier 1968 sein erstes Deutschland-Konzert gegeben.“ Aufgeben möchte der Dortmunder das Gebäude nicht, denkt bereits über eine Neunutzung als Kunst- und Kulturzentrum mit Büros für Kreative nach. „Handel funktioniert hier jedenfalls nicht“, konstatiert Wilhelm, „ich bin aber natürlich offen für einen runden Tisch“.