Essen. Rellinghausen besteht seit über tausend Jahren und begreift sich als einer der Keimzellen Essens. Johannes Stoll erforscht die Stadtteilgeschichte. Folge 19 unserer Stadtteil-Serie „60 Minuten in...“.
Der beste Ort, um einen Rundgang durch Rellinghausen zu starten, ist natürlich der Stiftsplatz. „Hier ist die Keimzelle“, sagt Johannes Stoll und nutzt gleich den ersten Halt, um sein umfangreiches Wissen an den Mann zu bringen. Denn wer etwas über die Geschichte des Stadtteils zwischen Ruhr und Stadtwald erfahren möchte, kommt an dem Vorsitzenden der Rellinghauser Bürgerschaft nicht vorbei.
Das Wunder von Rellinghausen
Alljährlich, und das bereits seit 499 Jahren, wird das stille Annental aus seinem Dornröschenschlaf erweckt: Dann ziehen hunderte Gläubige in einer feierlichen Prozession zur Annenkapelle, um an einen Hostienraub und dessen gutes Ende zu erinnern. Hirten fanden die geweihten Oblaten am 25. Juli 1516 in einem Strauch; am Fundort wurde aus Dankbarkeit die kleine Kapelle errichtet. Seitdem wird das Wunder von Rellinghausen, eines der ältesten kirchlichen Feste der Stadt, gefeiert.
Obwohl im Allgäu aufgewachsen, kennt Johannes Stoll hier jeden Stein und dessen Geschichte. „Rellinghausen war vor dem Krieg viel größer“, sagt er, „die Stadt hat uns ohne Ratsbeschluss einfach anderthalb Kilometer geklaut.“ Auch wenn der Stadtwald („gehörte zu Rellinghausen und hieß Heide“), die Rote Mühle und das einstige Strandbad Rellinghausen sozusagen amputiert wurden, ist Rellinghausen immer noch reich an historischen Bauten und grünen Siedlungen: Dazu gehören das Schloss Schellenberg, der Blücherturm, die ehemalige Stiftskirche St. Lambertus aber auch die Kolonie Gottfried Wilhelm und die Hälfte der Heisinger Aue.
Das ist Essen-Rellinghausen
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Adlige Stiftsdamen kamen im Mittelalter
Geprägt haben den über 1000 Jahre alten Stadtteil der Bergbau und die Kirche. Die adligen Stiftsdamen kamen schon im Mittelalter; sie bauten das Gotteshaus, gaben den Bauern Arbeit und sprachen Recht. Mit Beginn der Industrialisierung schwand ihr Einfluss, die Säkularisierung gab ihnen den Rest.
Eine kulturelle Stätte von besonderer Güte
Mit dem 1977 gegründeten Kunsthaus, das in der ehemaligen Volksschule an der Rübezahlstraße residiert, verfügt Rellinghausen über eine kulturelle Stätte von besonderer Güte: einem führenden, regional wie international bedeutsamen Ausstellungs- und Produktionsort für zeitgenössische Kunst. Die Konzeption der Ausstellungen, Publikationen und Veranstaltungen werden von den im Haus vertretenen Künstlern erarbeitet und durchgeführt. Es gibt 16 ständige Ateliers, ein Tonstudio, einen modernen Tanzsaal sowie ein Atelier mit Wohnraum für das Artist in Residenz Programm.
Der Bergbau vertrieb später auch die adeligen Herren von Schloss Schellenberg: Über 800 Jahre wurde die Burg als Wohnsitz genutzt, dann setzten sich die Zechenbesitzer durch und bauten eine Kohlenseilbahn quer durch den Wald. Die Familie Vittinghoff-Schell zog unter Protest aus und kam nie wieder. Gesiegt haben sie trotzdem, irgendwie. Denn während die Zeche Gottfried Wilhelm nahezu spurlos verschwunden ist, hat das Schloss die Zeit überdauert; allerdings wird es heute gewerblich betrieben und ist somit für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Bürgerschaft rettete den Blücherturm
Essener Stadtteilwappen und ihre Bedeutung
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Die Ruhr durchzieht das Wappen
Rellinghausen nimmt in der Geschichte der Stadt einen besonderen Platz ein: So war der Herr zu „Ruoldinghus“ verwandt mit Bischof Altfrid, dem Gründer des Stiftes. 971 wurde das Rellinghauser Damenstift gegründet, das dem Stift Essen unterstand. Im 17. Jahrhundert ließ die Essener Äbtissin als Reichsfürstin ein Wappen für das „Kayserlich-freiweltliche Stift Essen“ erstellen. Es symbolisiert ihre vier Grundherrschaften, darunter auch Rellinghausen. Das Wappen deutet mit dem Wellenbalken die Lage an der Ruhr, mit dem Kreuz seine christliche Funktion an.
Anders der Blücherturm: Der einstige Gerichtsturm verdankt sein Überleben der Bürgerschaft, die ihn 1997 von der Stadt erwarb, restaurierte und seitdem als Archiv und für Ausstellungen nutzt. „Das war mein Einstieg in die Bürgerschaft“, sagt Johannes Stoll.
Direkt neben dem Blücherturm sieht man Bausünden, die auch vor Rellinghausen nicht Halt gemacht haben. Neben einem Gründerzeitgebäude wurden gesichtslose Einfamilienhäuser angebaut. „Leider hat Essen seit den 1960er Jahren keinen Stadtbaumeister mehr, der das große Ganze im Blick hat“, sucht der Bauingenieur eine Erklärung.
Mischung aus Tante Emma Laden und Gartencenter
Inzwischen stehen wir im Geschäft von Lieselotte Krampf zwischen Tierfutter, Blumen, Kartoffeln, Gemüse, Eiern und Dünger. Mittendrin eine Theke wie aus einer anderen Zeit. Die Mischung aus Tante Emma Laden und Gartencenter mögen die Rellinghauser – sie halten der Familie Krampf trotz benachbartem Baumarkt seit 40 Jahren die Treue.
Von hier ist es nicht mehr weit bis zur Gottfried-Wilhelm-Siedlung, in der die Straßen nach den Flözen benannt wurden. Auf Fine-frau, Hundsnocken und Mausegatt stehen die Zechenhäuser einträchtig nebeneinander. „Statt Bauhausstil findet man hier Baumarktstil“, kritisiert Stoll, der sich auch als Hüter des historischen Erbes versteht, „es gibt zwar eine Gestaltungssatzung, aber die wird nicht beachtet.“ Würde die Kolonie unter Denkmalschutz stehen, sähe sie anders aus. Aber dieser Zug ist abgefahren. „Schade“, seufzt Stoll.
Stadtteil-Statistik
Wenig Einwohner
3698 Einwohner zählt der Stadtteil Rellinghausen – weniger Bewohner haben nur der Stadtkern (3695), das Westviertel (2480), Fulerum (3311), Byfang (2038) und Schuir (1481).
Drittkleinster Stadtteil in Essen
148,6 Hektar groß ist der Stadtteil und gehört damit flächenmäßig zu dem drittkleinsten Viertel in der Stadt.
Weniger als die Hälfte bebaut
64,5 Hektar, also weniger als die Hälfte, sind bebaute Fläche.
25 Einwohner pro Hektar
Mit 25 Einwohnern, die auf einen Hektar kommen (ein Hektar entspricht einer Fläche von 100 mal 100 Metern) liegt Rellinghaussen stadtweit im guten Mittelfeld.
Ein Viertel Waldgebiet
23,6 Prozent, also knapp ein Viertel der Rellinghauser Fläche sind Waldgebiete, knapp acht Prozent verteilen sich auf Grünflächen und Parkanlagen. Im Vergleich dazu die benachbarten Stadtteile: Stadtwald (35 Prozent Forst), Bergerhausen (4,8 Prozent Forst) und Überruhr Hinsel (2,6 Prozent Forst).
In 18 Prozent aller Privathaushalte leben Kinder
1649 Privathaushalte gibt es insgesamt in Rellinghausen, nur in 18 Prozent aller Haushalte leben Kinder unter 18 Jahren. Entsprechend gering ist ihr prozentualer Anteil an der Gesamtbevölkerung: 13,6 Prozent Kinder und Jugendliche stehen gegenüber 30,8 Prozent der über 65-Jährigen. Das hört sich nach einer geringen Familien- und Kinderquote an – schaut man aber auf die Zahlen der anderen Stadtteile, nimmt Rellinghausen einen deutlichen Platz im oberen Drittel ein.
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