Rellinghausen. .

100 Jahre ist es her, dass Rellinghausen zu Essen eingemeindet wurde. Die Bürgerschaft Rellinghausen-Stadtwald feiert das Jubiläum und plant dazu eine sechsteilige Buchreihe zur Geschichte des Stadtteils.

Band 1.1, recherchiert und geschrieben vom Historiker-Ehepaar Dr. Valeska und Dr. Klaus Lindemann, ist gerade im Druck und wird in zwei Wochen erhältlich sein. Band 1.2 liegt ebenfalls vor und wird noch in diesem Jahr erscheinen, ist Johannes Stoll, Vorsitzender der Bürgerschaft, die als Herausgeberin der historischen Bände fungiert, sicher.

Eigentlich sollen die Bücher die vergangenen 100 Jahre seit der Eingemeindung beleuchten. Da man aber die Ereignisse und Strömungen dieser Zeit nicht ohne die Historie der Bürgermeisterei in der Kaiserzeit verstehen kann, widmen sich die beiden ersten Bände eben dieser Epoche. Die Bürgermeisterei war 1876 entstanden, als die ständig wachsende Bevölkerung zur Trennung von Steele führte.

Zur Bürgermeisterei gehörten neben Rellinghausen auch Bergerhausen, Heisingen, Rüttenscheid und Heide (heute Stadtwald). „Von der Gründung der Bürgermeisterei an war klar, dass sie nicht lange bestehen würde, dazu war sie finanziell zu schwach“, haben die Recherchen von Klaus Lindemann ergeben. Erster und einziger Bürgermeister Rellinghausens vor Joseph Sartorius, der noch im Jahr der Eingemeindung starb und an den heute eine Straße in Rellinghausen erinnert. „Die Bürgermeister in Preußen wurden auf Lebenszeit ernannt und wenn man wollte, dass sie einer Eingemeindung zustimmten, mit der sie ja ihr Amt verloren, musste man ihnen seitens der Stadt Essen schon ein gutes Angebot machen“, erläutert Klaus Lindemann. Deshalb seien aus Bürgermeistern oft Beigeordnete geworden.

Klaus und Valeska Lindemann sind den vergangenen Monaten tief in die Rellinghauser Geschichte eingetaucht und haben Spannendes zutage gefördert. Im August letzten Jahres hatte sich die Bürgerschaft Gedanken gemacht, wie man das Jubiläum adäquat würdigen könnte und die beiden Historiker angesprochen. Valeska Lindemann erstellte das Konzept. Im Rahmen der sechsteiligen Buchreihe sollen die Kaiserzeit, die Weimarer Republik, die Zeit des Nationalsozialismus, die Besatzung, die Phase nach der Gründung der Bundesrepublik und nach der Wiedervereinigung beleuchtet werden. „Die Recherche für die Nachkriegsgeschichte wird natürlich sehr aufwendig, denn die Zahl der Quellen ist in jüngerer Vergangenheit förmlich explodiert“, so Valeska Lindemann.

Das Buch zur Kaiserzeit besteht eigentlich aus zwei Bänden, aus einem, der die Bürgermeisterei beschreibt, und einem, der sich der Eingemeindung und dem Ersten Weltkrieg widmet und dabei den Schwerpunkt auf die dörflichen Strukturen Rellinghausens legt. „Uns geht es um Infrastruktur, Verwaltung, Kirchen, Vereins- und Bildungswesen, Wirtschaft mit dem Bergbau, Wohnungsbau und Festkultur. Valeska Lindemann: „Wir haben bewusst nicht den Bergbau in den Mittelpunkt gestellt. Dazu gibt es schon sehr viele Veröffentlichungen.“

Wichtig war den Autoren, die Mentalität der Rellinghauser zu den verschiedenen Zeiten zu analysieren. zu zeigen, wie sie feierten und in welchen Lokalen sie zusammenkamen. Während sich Klaus Lindemann mehr um die „Mikrogeschichte“, kümmerte und zum Beispiel aufzeigt, welche Straße wann verlegt wurde, bettet seine Frau die Begebenheiten in Rellinghausen in die Geschichte Preußens ein, in die Historie der Industrialisierung und Verbürokratisierung.

Auch dem Adel und seiner Rolle widmen sich die Autoren: „In dem Buch wird erklärt, wie Freiherr von Vittinghoff-Schell den Wald in Rellinghausen vor der Abholzung bewahrte und eine Verschandelung des Ruhrtals verhinderte“, sagt Johannes Stoll.

Die Arbeit am ersten Band erschwerte die Tatsache, dass der gesamte Aktenbestand der Bürgermeisterei im Stadtarchiv lagert, das aber wegen des Umzugs monatelang nicht zugänglich war. „Zum Glück haben wir viele Quellen im Blücherturm gefunden“, erinnert sich Valeska Lindemann. Auch in den Archiven der evangelischen und, nach einiger Anstrengung, auch der katholischen Gemeinde wurden die Lindemanns fündig. „Wir zeigen die Kluft zwischen Geistlichen und Laien, die damals herrschte. die Papst-Verehrung, die sich im Stadtteil spiegelte. Auch die Rolle der Frau liefert interessante Ansätze“, so Valeska Lindemann. So durften Frauen damals nicht die Orgelbühne der Lambertus-Kirche betreten. Bei Feiern seien Frauen nicht zu Wort gekommen, hätten höchstens als „weiß gekleidete Jungfrauen“ als schmückendes Beiwerk gedient. Der Lehrerinnen-Beruf sei einer der wenigen gewesen, der Frauen aus der Mittelschicht offengestanden habe.

Die Lindemanns mussten für ihre Arbeit zahlreiche Quellen entziffern, die bis 1900 noch handschriftlich in verschiedenen Süterlinarten vorliegen. Die Geschichtsbände enthalten nicht nur viele Abdrucke von Urkunden und Briefen, sondern auch zahlreiche eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Fotos. „Sehr geholfen haben uns die Chroniken der Schulen, die von den Volksschullehrern extrem gewissenhaft zusammengestellt worden sind“, sagt Lindemann.

Neue Einblicke sind dem Leser auf jeden Fall garantiert. Stoll: „Mit dieser Arbeit ist erstmals eine historisch korrekte Chronologie gelungen, die auch den Alltag der letzten 100 Jahre aufarbeitet. Einige Akten, die jetzt gesichtet wurden, sind noch nie zuvor ausgeliehen gewesen.“