Essen. . Reinhard Paß gesteht seine Niederlage ein und gratuliert seinem Nachfolger. SPD-Chefin Britta Altenkamp erwartet angesichts der deftigen Klatsche eine Personaldebatte auch über ihre Person.

Als es um kurz nach 18 Uhr im Fraktionssaal der SPD heißt: „Herzlichen Glückwunsch“, führt nicht etwa ein Zyniker das Wort. Die Gratulationen gelten Thomas Rotter. Der Ratsherr von der Margarethenhöhe wird an diesem historischen Wahlsonntag 55 Jahre alt und ist wohl der einzige im Raum, der etwas zu feiern hätte. Grabesstimmung macht sich breit. Mit staunendem Entsetzen verfolgen die etwa 100 Genossen, wie rasend schnell Oberbürgermeister Reinhard Paß bei der Auszählung der Stimmen an Boden verliert. Dass Paß das Ruder nach dem ernüchternden Ausgang des ersten Wahlgangs noch einmal herumreißen würde können, das hatte nur allergrößte Optimisten erwartet. Dass seine Niederlage aber so klar ausfallen würde – das ist ein Schock für die Partei.

Als Reinhard Paß gemeinsam mit seiner Familie gegen 18.30 Uhr den Saal betritt, sind 335 von 431 Stimmbezirken ausgezählt. Am Ausgang der Wahl gibt es da schon längst nichts mehr zu deuteln. Die Stimmung ist gespenstisch. Niemand scheint so recht Notiz zu nehmen vom scheidenden Oberbürgermeister, der Hände schüttelt und aufmunternde Worte entgegen nimmt. Es ist SPD-Vorsitzende Britta Altenkamp die als erste Beifall spendet, in den die anderen im Saal einstimmen. Ausgerechnet Altenkamp mögen jene denken, die nicht vergessen haben, dass sie es war, die Paß als die falsche Person für das Amt bezeichnet hatte. Seine Niederlage ist auch die ihre.

Auch interessant

Kufen (CDU) schlägt Amtsinhaber Paß (SPD) bei OB-Stichwahl deutlich

Reinhard Paß redet nicht drum herum: „Die Wahl ist verloren und zwar sehr deutlich.“ Dies sei zu erwarten gewesen nach dem ersten Wahlgang. Ob er selbst nicht mehr daran geglaubt hat? Paß wirkt gefasst. Fast scheint es, er sei erleichtert, dass nun alles vorbei ist.

Zwei Wochen lang hatte er sich noch einmal voll reingehangen für eine Wiederwahl, stand morgens um fünf Uhr vor dem Straßenbahndepot, verteilte in aller Herrgottsfrühe Brötchen am Betriebshof der Entsorgungsbetriebe und bat an ungezählten Haustüren um die Stimmen derer, die beim ersten Wahlgang vielleicht zu Hause geblieben waren. Selten seien sich der Kandidat und Partei so nahe gewesen wie in diesen zwei Wochen, war gestern unter Genossen zu hören. Unausgesprochen stand dahinter die Frage: Warum nicht gleich so?

Kufen (CDU) besiegt Paß (SPD)

1/106

Genützt hat es nichts. Die traditionellen SPD-Milieus sind nicht zur Wahl gegangen. Selbst Hochburgen der Sozialdemokratie wie Altenessen gingen an CDU-Mann Kufen. Eigentlich unfassbar für eine Partei, die nicht nur dort in schöner Regelmäßigkeit absolute Mehrheiten hatte einfahren können. Diesmal reichte es dazu für Paß nur in Karnap, Vogelheim und im Nordviertel.

Reinhard Paß hat kein Thema mehr gesetzt, dass die Stimmung zu seinen Gunsten noch einmal hätte drehen können. Oder nicht setzen wollen. Das Thema Flüchtlinge, das ihm Parteifreunde nahe legten, sparte Paß auch vor der Stichwahl aus. „Wenn man dann einmal in einen solchen Sog gerät, ist es schwierig“, sagt Britta Altenkamp und meint den rasanten Abwärtstrend, den Paß und seine Partei nicht mehr stoppen konnten. Beiden hätten die Wähler „die rote Karte“ gezeigt, sagt Altenkamp. Warum? Das gelte es nun zu analysieren. „Wir dürfen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, betont Fraktionsvorsitzender Rainer Marschan. Altenkamp rechnet nun sehr wohl mit einer Personaldebatte in der Partei, auch um ihre Person. „Das ist normal.“ Sie erinnert aber daran, dass sie sich nicht aufgedrängt für den Posten der Parteivorsitzenden. Jemand, der nun sagt, ich mach’s, ist nicht Sicht.

Im Rat der Stadt geht die SPD davon aus, dass es auch unter Oberbürgermeister Thomas Kufen bei der Großen Koalition bleiben wird. Rechnerisch würde es sogar für ein Viererbündnis aus CDU, Grünen, FDP und Essener Bürgerbündnis reichen – mit einer Stimme Mehrheit, der des neuen OB. Eine stabile Mehrheit wäre das nicht. Reinhard Paß’ Problem soll das nicht mehr sein. Er wird am 20. Oktober aus dem Amt ausscheiden, und sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Was er seinem Nachfolger mit auf den Weg geben würde? „Machen Sie das Beste draus.“ Paß würde Kufen das am Wahlabend gerne persönlich sagen. Als er alleine zum CDU-Fraktionssaal hinübereilt, um zu gratulieren, muss er warten. Der Wahlsieger ist noch nicht eingetroffen. Gratulanten bringen Blumen. Diesmal sind sie nicht für ihn.