Essen/Charkow. . Das ukrainische Charkow müht sich mit der Versorgung zahlloser Flüchtlinge. Der Essener Thomas Schiemann war vor Ort und will wiederzukommen.

Es ist dieser Tage still geworden um die Ukraine: Die Flüchtlingskrise hat das Thema aus den Nachrichten verdrängt – und wohl auch aus dem Bewusstsein der meisten Essener, fürchtet Thomas Schiemann. Dabei hat der Geschäftsmann bei einem Besuch im Sommer erlebt, wie sehr dort noch immer Hilfe benötigt wird: „Es ist ein leiser Krieg geworden. Aber es ist Krieg.“

Ein Jahr ist es her, dass Schiemann mit den Folgen des Kriegs so nah in Berührung kam, dass es ihn nicht mehr los ließ: Im Oktober 2014 reisten er und seine ukrainische Frau Liudmyla nach Charkow, um Verwandte zu besuchen. Sie erlebten eine Millionen-Stadt, die zum Zufluchtsort für all jene geworden war, die vor dem Konflikt zwischen Regierungstruppen und pro-russischen Separatisten geflohen waren. Rund 100 000 Flüchtlinge aus den umkämpften Städten Luhansk und Donezk hatten die Bewohner von Charkow da schon untergebracht, oft in ihren kleinen Privatwohnungen.

250.000 Flüchtlinge in Charkow

Thomas Schiemann hörte sich die Schicksale vieler Menschen an – und startete nach seiner Rückkehr nach Essen eine Spendenaktion, an der sich zahllose unserer Leser beteiligten. Im Februar traf der Hilfstransport in Charkow ein und Schiemann erlebte die übergroße Dankbarkeit der Menschen für Kleidung, Windeln, Wolldecken oder Matratzen.

Im Sommer flog er erneut nach Charkow: mit viel Übergepäck und Geldspenden: „Vor Ort kauften wir für 3500 Euro säckeweise Buchweizen, Kartoffeln, Reis sowie Babynahrung, Windeln, aber auch Hefte und Stifte für Kinder, die im September in die Schule kamen.“ Mit den Helfern der „Station Kharkow“ wurde ein Lkw befüllt und zur Auffangstation Karl-Marx-Straße gebracht.

In dem Haus leben 60 der heute 250 000 Flüchtlinge in Charkow. Kinder wie Vlad (7) und Maxim (6), die aus einem Dorf bei Luhansk geflohen sind: „Traurige Brüder“, deren Vater wegen seiner pro-ukrainischen Einstellung verhaftet worden sei, so Schiemann. „Niemand weiß, ob er noch lebt“.

"Niemand hat geklagt"

Auch die elfjährige Xenia habe erlebt, wie ihre Familie zerrissen wurde, wie Großeltern und Vater zurückblieben. Berührt hat Schiemann auch das Schicksal der 70 Jahre alten Larissa, die nur mit einem Köfferchen in Charkow landete und deren winzige Rente gerade fürs Essen reicht. Auch sie lebt in der Auffangstation, die von Privatleuten betreut wird.

Es gebe auch ein Container-Dorf mit 400 Plätzen, das die Bundesregierung in Charkow aufgestellt habe. Sechs Monate sollen die Flüchtlinge hier Asyl finden: „Nur wissen die Menschen nicht, wo sie nach sechs Monaten hingehen sollen.“

Schiemann weiß, dass sich dieser Tage viele Essener mit großem Einsatz um die Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft kümmern. Darum hat er gezögert, noch einmal um Hilfe für die Ukraine zu bitten. Er habe dort viel Verzweiflung erlebt, weil die wirtschaftliche Lage katastrophal sei und die Einheimischen nicht wüssten, wie sie die Flüchtlinge im Winter mit versorgen sollen. „Aber niemand hat geklagt. Im Gegenteil, es gab unzählige dankbare Kommentare im Gespräch und in sozialen Netzwerken – die Stadt Essen ist da jetzt bekannt.“ Für Thomas Schiemann ist das eine Verpflichtung: Im November reist er wieder nach Charkow.

Spenden: Thomas Schiemann, Geno-Bank Essen, Iban: DE 34360604880541630401; BIC: GENODEM1GBE. (Die Verwendung der Spenden wird dokumentiert; es gibt keine Spendenbescheinigungen!)