Essen. Vor der OB-Stichwahl sortiert sich die kommunalpolitische Landschaft neu. Auf Rituale, die die Verdrossenheit der Bürger noch befördern, sollte verzichtet werden.

Wer unterstützt wen am 27. September? Am Tag nach der OB-Wahl beginnt das Rechnen und Sortieren mit Blick auf die Stichwahl. So wie es aussieht, werden Parteien wie Grüne und FDP allenfalls Sympathien erkennen lassen, nicht aber eine offizielle Wahlempfehlung abgeben. Gut so! „Wahlempfehlung“ – schon das Wort wirkt ja völlig verzopft. Früher haben Wähler sich vielleicht vorschreiben lassen, wem sie, bitteschön, ihre Stimme geben sollen, wenn ihre Stamm-Partei nicht mehr im Rennen ist. In Zeiten massenhafter Politikerverdrossenheit und Wahlverweigerung ist das nur noch lächerlich und würde womöglich sogar das Gegenteil dessen bewirken, was sich politische Westentaschen-Strategen vorstellen.

Realistisch betrachtet, werden viele Wähler von Kandidaten, die ausschieden, der Stichwahl eher fernbleiben und die Wahlbeteiligung vermutlich unter 30 Prozent rutschen lassen. Ob Kufen oder Paß – der nächste OB wird eine faktische Legitimationsgrundlage von kaum mehr als 15 Prozent der wahlberechtigten Essener haben. Demokratietheoretisch ist das kein Problem – alle hätten ja mitwählen können. Man muss auch nicht immer gleich das Ende der Demokratie in Sicht sehen. Gut ist es aber natürlich nicht, wenn große Stadtteile wie Altendorf oder Altenessen sich am Sonntag der 20-Prozent-Marke näherten und wenn die Innenstadt mit den angrenzenden Vierteln diese unterschritt.

Die harte Wahrheit ist: Ganzen Milieus ist die Kommunalpolitik mit ihren Sachzwängen und Ritualen längst schlicht egal. Kalt lassen kann das nicht, auch wenn niemand eine echte Lösung hat, mancher aber so tut. Mehr direkte Demokratie, heißt so ein Patentrezept. Klingt gut. Aber erstens nahmen an Bürgerentscheiden auch nicht mehr Menschen teil. Zweitens: Wenn viele Wahlberechtigte weder Kenntnisse noch Einsicht in Zusammenhänge mitbringen, eröffnet sich da nur eine Spielwiese für Demagogen. Ob das bessere Politik ergibt, darf man bezweifeln.