Essen. . Reinhard Paß hatte seinen Wahlkampf auf die bürgerlichen Mitte ausgerichtet. Mit dieser Strategie ist er grandios gescheitert. Genossen meinen: Nun muss ein emotionales Thema her.
Eines werden sie Reinhard Paß nicht vorwerfen können: Er habe sich nicht ins Zeug gelegt für eine Wiederwahl. Fotos auf Facebook zeigen ihn beim Endspurt: Reinhard Paß mit Jusos in der Ampütte. Reinhard Paß am Infostand in Bredeney. Reinhard Paß beim Plausch mit Genossen beim Sonnenblumenfest in Kupferdreh. Reinhard Paß im Dellwiger Strandbad „Hesse“, zu Besuch in jenem Freibad im Nordwesten, das zum Symbol wurde, für seinen überragenden Wahlsieg 2009. Sechs Jahre später ist Reinhard Paß buchstäblich baden gegangen; im Vergleich zu 2009 hat er seine Stimmenzahl praktisch halbiert. Ja, es sieht so aus, als habe da einer einen fulminanten Bauchflatscher vom Dreimeterbrett hingelegt, und jeder fragt sich, ob er danach wieder auftauchen wird.
„Ich bin enttäuscht“
Reinhard Paß taucht auf, eine gefühlte Ewigkeit, nachdem der WDR jene Prognose veröffentlicht hat, die für Reinhard Paß einem Desaster gleichkommt. „Ich bin enttäuscht“, sagt er einem Reporter ins Mikrofon. Enttäuscht? Noch vor wenigen Tagen sah eine repräsentative Umfrage den Amtsinhaber fünf Prozentpunkte vor seinem Herausforderer Thomas Kufen. Nun liegt der CDU-Mann knapp zehn Prozentpunkte vorne. „Es war unrealistisch an einen Durchmarsch zu glauben“, sagt Paß. Solche Sätze formuliert man wohl nur unter Schock. Durchmarsch? Am Ende des Wahlabends sollen ihn fast 16 Prozent von einer absoluten Mehrheit trennen. Es ist Paß, der nun hinterher marschiert.
Wie konnte es soweit kommen? Britta Altenkamp erklärt das schwache Abschneiden mit der historisch niedrigen Wahlbeteiligung, als sie den im Fraktionssaal versammelten Genossen Mut macht für die Stichwahl in zwei Wochen. „Seid nicht zu enttäuscht. Wir schaffen das“, sagt sie pflichtschuldig. Was sie nicht sagt: Warum blieben so viele Wähler den Urnen fern? Dabei liegt die Antwort auf der Hand: Reinhard Paß ist grandios gescheitert mit seiner Wahlkampf-Strategie. Paß wollte sich den Wählern der bürgerlichen Mitte als Alternative zu Thomas Kufen andienen. Nur blieben die dem CDU-Kandidaten treu. Selbst die über 60-Jährigen wählten mehrheitlich den jugendlich wirkenden Herausforderer, obwohl der so gar nicht in ein streng konservatives Weltbild passen will. Und es mag paradox klingen: Dass Paß und Kufen in ihren inhaltlichen Aussagen meist sehr austauschbar waren, gereichte nicht etwa dem Herausforderer zum Nachteil, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre, sondern dem Amtsinhaber. Seinen Amtsbonus als Oberbürgermeister hat Paß im ersten Wahlgang komplett verspielt? Wie das?
Indem Paß die traditionelle SPD-Wählerschaft nicht bediente. Ja, in dem er Stammwähler sogar verprellte, wie mancher Genosse meinte. „Nicht zum DGB zu gehen, nicht zum Sportbund und nicht zum Elternverband — das war ein Fehler“, sagte etwa Fraktionschef Rainer Marschan in Anspielung an die Einladungen zu Diskussionsrunden, die der OB im Wahlkampf ausgeschlagen hatte. Darauf angesprochen sagte Reinhard Paß: „Man macht immer Fehler.“
Dass die Partei ihren Kandidaten nicht genügend unterstützt haben könnte, dass die Querelen um Paß’ Nominierung eine Rolle gespielt haben könnte – dies mochten weder Paß noch Mitglieder des Parteivorstandes gelten lassen. Zumindest in finanzieller Hinsicht hat es nicht an Unterstützung gemangelt. 150 000 Euro hat der SPD der Wahlkampf gekostet – soviel wie die Kommunalwahl im vergangenen Jahr.
Fast trotzig gilt der Blick der Stichwahl am 27. September. Es komme nun darauf an, jene Wähler anzusprechen, die ihn nicht gewählt haben, sagte Paß. Britta Altenkamp wurde deutlicher, indem sie Grünen und Linken folgende Offerte machte: „Mein Angebot ist, dass wir über das Thema Nahverkehr sehr offen diskutieren.“
Ob es genügen wird, andere Parteien zu Wahlempfehlungen zu bewegen? Paß müsse sich stärker von Kufen unterscheiden, am besten, indem er ein emotionales Thema besetzt, war gestern in Reihen der Genossen zu hören. Ein emotionales Thema, wie 2009 der Kampf um „Hesse“ eines war. Aber welches könnte das sein? Ein Thema gibt es, das die Menschen bewegt. Eines, dass auch Paß aus guten Gründen dem Wahlkampf herausgehalten hat: das Thema Flüchtlinge.
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