Der Graf gibt sich mit Unheilig im Stadion Essen die Ehre
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Essen. Um die 15 000 Zuschauer kamen am Samstagabend zum Konzert von Unheilig ins Stadion Essen. Bei strömendem Regen erlebten sie zwei Stunden Gefühlstheater.
Wie würde die selige ZDF-Hitparade unter Dieter Thomas Heck aussehen, wenn es sie denn im Jahr 2015 noch gäbe? Das erlebten um die 15 000 begeisterte Zuschauer im strömenden Regen am Samstagabend im Stadion Essen. „Der Graf“ – mit bürgerlichem Namen wahrscheinlich Bernd Heinrich Graf – gab sich mit seinem Projekt Unheilig die Ehre. Und alle klatschten mit, beim Fest für die ganze Familie.
„Zeigt Ihr mir alle Eure Hände?“, fragt der Mann mit Glatze im schwarzen Gehrock und tatsächlich heben sich tausende Arme im ganzen Stadion zum Mitklatschen. Es ist erst das dritte Stück an diesem Abend, sinnigerweise trägt es den Titel „Wir sind alle wie eins“. Gemeinschaftsbildende Maßnahmen wird „Der Graf“ in seiner knapp zweistündigen Spielzeit noch häufiger anstoßen. Und was könnte das Wir-Gefühl besser fördern, als gemeinsames rhythmisches Klatschen zum eingängigen Pop-Refrain? Schließlich hat er mit dem Stück den zweiten Platz bei der Vorausscheidung zum „Eurovision Song Contest“ 2014 geholt.
Dialog mit achtjähriger Soraya bringt Stadion zum Schmunzeln
Und an den fühlt man sich an diesem Abend sehr erinnert, oder noch viel mehr an die 1970er Jahre, als sich in der legendären Hitparade die Darsteller des deutschsprachigen Gefühlstheaters tummelten. Ein gefühlter Hit folgt dem nächsten, Unheilig spielen viel Material aus den vergangenen fünf, kommerziell höchst erfolgreichen, Jahren, einschließlich der letzten „Gipfelstürmer“-CD. Die Botschaften zu den Themen Leben, Liebe, Entwicklung oder Freundschaft sind allesamt positiv und kinderzimmertauglich. Im Publikum sitzt die ganze Familie und klatscht eifrig mit – allerdings mit Schwerpunkt auf dem Zweig 45+. Die Bühne gehört dem Frontmann mit großer Geste, gerne mit ausgebreiteten Armen und herausgedrückter Brust beim Ansprechen von großen und kleinen Gefühlen.
Der Graf hält Hof in Essen
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Das gefällt vor allem der weiblichen Zuhörerschaft, die klar in der Überzahl ist. Und besonders empfänglich für die, eigentlich ein bisschen krude, Musikmischung zu sein scheint. Denn Unheilig klingen, als hätte Schlagersänger Roland Kaiser das Kommando bei der Metal-Industrial-Combo Rammstein übernommen. Wahrscheinlich werden nicht viele Bands inbrünstig von „ganz normalen“ 50- bis 60-jährigen Damen angefeuert, während die Gitarren ein Soundgewitter ausspucken.
Dazu versteht sich der Herr Graf auf das Mitnehmen und steht keine zwei Augenblicke hintereinander still, kommuniziert ständig mit dem Publikum, kennt alle Mitsing-Spielchen. Ein kurzer Dialog mit der achtjährigen Soraya vor der Bühne bringt das ganze Stadion zum Schmunzeln. Kurz gesagt: „Der Graf“ ist Integrationsfigur und ein klasse Entertainer, einer Hitparade jederzeit würdig. Und wie es denn sein muss, so kommt der große Hit „Geboren um zu leben“ gegen 22 Uhr (fast) zum Schluss. Das wäre bei Dieter Thomas Heck nicht anders gewesen.
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