Berlin. Am Freitag erscheint “Gipfelstürmer“ – das letzte Unheilig-Album des Grafen und das unheiligste der Band. Es verrät auch, warum der Graf aufhört.
Einmal noch Musik komponieren, einmal noch Texte schreiben, einmal noch ins Studio. Klar, dass der Graf unter solchen Voraussetzungen ein Album produziert hat, das noch unheiliger klingt als alles Bisherige von Unheilig. „Ich habe einen würdigen Abschluss schaffen wollen“, sagt der Graf.
Wir treffen ihn zum Gespräch in einem Berliner Hotelzimmer, dessen rosa und himmelblaue Bonbonfarben so gar nicht zu dem Mann passen, der wie immer vornehmlich schwarz gewandet ist. „Ich merkte, einmal packe ich es noch, und so habe ich in ,Gipfelstürmer’ alles hineingelegt, was Unheilig ausmacht: Liebe, Hoffnung, Mut, Kraft, nicht aufgeben, an sich glauben.“
„Gipfelstürmer“ ist das achte Studioalbum von Unheilig, dessen Chef nach wie vor in Aachen lebt. Nach der Platte, einer Tournee, Festivals und einem großen Abschlusskonzert im Sommer 2016 wird er unwiderruflich Feierabend machen mit Unheilig. Zu groß ist das Heimweh geworden, teilweise fuhr er nach Auftritten acht Stunden durch die Nacht, nur um morgens wieder daheim zu sein. „17 Jahre lang wird Unheilig an erster Stelle gestanden haben, und dann ist es vorbei.“
Öfter ins Kino gehen
Eines immerhin steht fest: Der Graf wird wieder öfter ins Kino gehen. Er liebt Filme, vor allem Filmmusik. „Ennio Morricone, das war jemand, bei dem ich als Kind dachte ,Wow!’ Meine ersten Platten waren alle Soundtracks, auch meine ersten musikalischen Versuche waren ohne Gesang. John Carpenter, Hans Zimmer, Vangelis – ich liebe diese epischen Klänge, die großen Melodien und die großen Bilder. Ich war bei mir in der Klasse der einzige, der auf diese Musik stand. Irgendwann musste ich gar nicht mehr die Filme sehen. Ich konnte mir die Soundtracks anhören und hatte die Bilder genau vor Augen.“
Grafs Vorliebe für Filmmusik spiegelt sich massiv auf „Gipfelstürmer“. Ein paar Stücke brechen mit dem üblichen Schema aus orchestraler, überwältigender Soundkulisse und melodischem Pomp. Das dezent Dance-Musik-Elemente aufgreifende „Echo“ etwa. Ansonsten dominieren zwei Arten von Stücken: Die lauten, schnellen und rockigen wie „Wir sind die Gipfelstürmer“ oder „Hinunter bis auf Eins“, auf denen Unheilig immer noch stark nach Rammstein klingt. Und die epischen Schinken im Stile von „Geboren um zu leben“, bei denen die Menschen im Konzert alles schwenken werden, was blinkt und leuchtet. Der Graf: „Ich liebe die großen Pathos-Melodien. Bei mir muss in jedem Lied der Typ auf dem Pferd in den Sonnenuntergang reiten.“
„Zeit zu gehen“, die Single und eine Hymne, die den Abschied erklärt, ist eines dieser unverkennbaren Unheilig-Epen, „Alles hat seine Zeit“, „Hand in Hand“ oder „Held für einen Tag“ gehen ebenfalls mit voller Wucht voran. Textliche Neulandbetretungen? Ebenfalls Fehlanzeige. In lebensertüchtigender Lyrik geht es um Dankbarkeit, Erfüllung und Arme im weiten Federkleid. Auf die „Die Weisheiten des Lebens“ treibt der Graf seine Affinität zu Sinnsprüchen auf die Spitze, indem er einfach Redewendungen aneinanderreiht, um „zu trösten und zu beflügeln.“
Abschied vom stotternden Jungen
Der Graf, der mit seinem Album „Große Freiheit“ 2010 den größten deutschsprachigen Erfolg seit Grönemeyers „Mensch“ feierte, rückt noch näher in „Mein Berg“: Er singt hier über das stotternde Kind, das er war und dessen größte Angst es ist, im Leben allein zu stehen.
Unheilig begeistert das Publikum
„Mein Berg“ dürfte auch Zyniker berühren, zumal es die Gründe für den bevorstehenden langen Abschied des Grafen auf den Punkt bringt: „Ich blieb stehen, habe gespürt, wie mich der Antrieb, besser sein zu wollen als andere, auch angestrengt hat. Ich brauche die Bühne nicht mehr, um mein Ego zu füttern. Ich habe mich von dem stotternden Jungen verabschiedet und meinen inneren Frieden gefunden.“
Beim Bergsteigen wird man Gipfelstürmer Graf übrigens demnächst nicht antreffen. Der Mann hat Höhenangst.