Schuss auf Profiboxer Manuel Charr trifft auch Altendorf
•
Lesezeit: 4 Minuten
Essen. . Nicht weit entfernt vom Vorzeigeprojekt Niederfeldsee passierte die nächtliche Schießerei. Anwohner zeichnen düsteres Bild des belebten Quartiers .
Die lebensgefährlichen Schüsse auf Profiboxer Manuel Charr rücken Altendorf bundesweit erneut in ein grelles Schlaglicht: einen schwierigen Stadtteil, der tatkräftig bemüht ist, sein lästiges Schmuddel-Image abzuschütteln – und immer wieder schmerzliche Rückschläge einstecken muss.
Nur einen Steinwurf vom ehrgeizigen Vorzeigeprojekt Niederfeldsee entfernt zeigt sich der Stadtteil an diesem Mittwoch von seiner unvorteilhaften Seite. Mannschaftswagen fahren pausenlos die belebte Geschäftsstraße rauf und runter, oben am Himmel kreist ein Polizeihubschrauber, und weiter hinten an der Helenenstraße hat die Polizei eine so genannte „Kräftesammelstelle“ eingerichtet: mit weiteren Mannschaftswagen als ständiger Reserve.
Guido Rademacher (52), Kraftfahrer bei den Entsorgungsbetrieben, kennt das Quartier seit einem Vierteljahrhundert und schüttelt genervt den Kopf: „Eine schlimme Ecke ist das hier – allein schon wegen der vielen Drogenhändler.“ Und seine Kollegen stimmen ein: „Nachts ist die Altendorfer ein heißes Pflaster, besser man treibt sich hier nicht herum.“ Sätze, die so mancher Bezirkspolitiker wohl nicht wahrhaben möchte. Schwingt in ihnen doch die tiefsitzende Angst vor „No-Go-Areas“ mit. Es sind auch Sätze, die den Ruf nach zusätzlichen Polizeibeamten für Essen verstärken könnten.
Shisha-Lounge und Fachgeschäft für „Islamischen Glauben“
Das ist Manuel Charr
1/20
Der Tatort ist ein beliebtes und gut frequentiertes Döner-Lokal, jetzt in der Mittagszeit ist kaum ein Tisch frei. Nirgendwo in Essen scheint die Multi-Kulti-Dichte so hoch zu sein wie auf diesem kurzen Abschnitt zwischen Helenenstraße und Aral-Tankstelle: Wie an einer Perlenschnur aneinandergereiht gib’s Wett- und Reisebüros, Gemüse- und Telefonläden, zahlreiche orientalische Grill-Lokale („Baba Sultan“), aber auch einen Griechen und ein Balkan-Restaurant. Auf der einen Seite die Shisha-Lounge, auf der anderen ein Fachgeschäft für „Islamischen Glauben“ – mit Ernährungsberatung sowie „Ramadan- und Kurbanprojekten“.
Die libanesische Gemeinde, bekanntlich eine der größten außerhalb Beiruts, ist in Altendorf besonders präsent. Gegen Mittag, zwölf Stunden nach der Döner-Schießerei und nur zwei Stunden nach der Aufsehen erregenden Wohnungsdurchsuchung des SEK, haben sich an der Aral-Tankstelle gut ein Dutzend Männer versammelt. Sie sind über die Vorkommnisse in der Nacht bestens informiert. „Verwandte von uns waren schon im Uniklinikum bei Manuel Charr, ihm geht’s besser“, berichtet einer. Samir Al-Zein (45), ein Autohändler, deutet auf sein weißes Hemd – eine Handbreite über dem Bauchnabel. „Ungefähr hier hat ihn die Pistolenkugel getroffen“, sagt er.
„Ich war mal Augenzeuge, als eine Frau erschossen wurde“
Von Ingmar Kreienbrink, Philipp Wahl, Gerd Niewerth
Am Tatort Döner-Grill versucht das Personal unterdessen Normalität vorzutäuschen, dabei geben sich Kamerateam- und Reporterteams schon den ganzen Tag die Klinke in die Hand. „Wir sind die Frühschicht und können nichts sagen“, betonen sie, „unser Chef schläft noch, aber der hat heute Nacht auch nichts gesehen.“
EBE-Fahrer Guido Rademacher ist Kummer gewohnt. „Ich war mal Augenzeuge, als eine Frau erschossen wurde“, berichtet er. Auch am Mittwochmorgen, als das Spezialeinsatzkommando die Wohnung auf der Markscheide stürmte, war er Augenzeuge. „Ich kam mit dem Wagen aus der Röntgenstraße und sah die vermummten Polizisten im Einsatz.“
Die Deutsch-Libanesen berichten unterdessen von einer Frau, die beim SEK-Einsatz einen Schock erlitt. „Die Wohnung haben sie auch verwüstet.“ Als sich Journalisten dem Haus nähern, wird die Stimmung aggressiv. Von der Durchsuchung betroffene Bewohner drohen mit einer Tracht Prügel.
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.