Essen. In den 1980ern kamen viele Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon nach Essen. Insgesamt dürfte der Kreis heute 5000 bis 6000 Personen umfassen.

In Essen lebt die bundesweit zweitgrößte libanesische Community nach Berlin und vor Bremen. Doch ihre Zahl genau zu beziffern, sei gar nicht so leicht, sagt Stadtsprecherin Jeanette von Lanken: Denn viele von ihnen, die in den 1980er Jahren nach Essen kamen, hatten eine „ungeklärte Staatsangehörigkeit“.

„Bei vielen der zunächst als ungeklärt eingereisten Personen“, so von Lanken, „konnte durch langjährige Ermittlungsarbeiten eine Staatsangehörigkeit festgestellt werden.“ Einige sind inzwischen im Besitz libanesischer Pässe, einige sind syrische Staatsangehörige und bei einem Großteil des Personenkreises wurde zwischenzeitlich die türkische Staatsangehörigkeit festgestellt. Außerdem besitzen viele der Libanesen befristete oder unbefristete Aufenthaltstitel, einige sind bereits eingebürgert – haben also nun die deutsche Staatsangehörigkeit. „Insgesamt dürfte der Kreis 5000 bis 6000 Personen umfassen.“

Etwa 1100 „ungeklärte Staatsangehörige aus dem Libanon“

Die heikle Mission der libanesischen Familien Union

Nachdem libanesische Clans sich zu Jahresanfang 2015 mehrfach Handgreiflichkeiten lieferten, meldete sich der Verein Familien Union im März in einem Offenen Brief an die Polizeipräsidentin zu Wort: „Mit Sorge blickt unser Verein auf die jüngsten Konflikte in Altendorf sowie in der Innenstadt, bei denen Polizeibeamte dem Widerstand einiger Personen ausgesetzt waren.“Man distanziere sich und bedauere die Vorfälle. Man wolle nicht zusehen, „wie der Ruf der großen Gemeinde mit libanesischem Migrationshintergrund zerstört wird“. Darum setze sich der Verein für Integration und Wohlverhalten von Jugendlichen ein, etwa mit Sport- und Bildungsangeboten. Die Familien Union nennt als ihr Ziel, „den sozialen Frieden zwischen Deutschen und Libanesen zu pflegen“.Ämter und Polizei nutzen die Familien Union durchaus als Netzwerk-Partner. Schon Joachim Wagner wies in seinem Buch „Richter ohne Gesetz“ (2011) aber darauf hin, dass „die kriminelle Energie einiger libanesisch-kurdischer Großfamilien wie ein Mühlstein auf den Schultern der Gesetzestreuen lastet“. Oft könnten die sich „der Kraft der Blutbande nicht entziehen“. Die Zukunft müsse zeigen, „ob es der Familien Union gelinge, Straftäter fernzuhalten und auszuschließen“.Im Brief an die Polizei hieß es, man unterstütze „Familien und Behörden dabei, Konflikte friedlich zu lösen“. Das klingt gut; doch nicht nur Wagner warnt, es sei problematisch, wenn die Familien Union als Schlichter zwischen Clans und Staat auftrete – und so eine hoheitliche Aufgabe reklamiere.

Die Stadt erklärt, dass im Sachgebiet „Ungeklärte Staatsangehörige aus dem Libanon“ derzeit noch etwa 1100 Personen betreut werden. Bei ihnen wird regelmäßig die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis geprüft. In ca. 650 dieser Fälle wurde die türkische Staatsangehörigkeit ermittelt. Je ca. 70 Personen werden als syrisch bzw. libanesisch geführt. In 290 Fällen ist die Staatsangehörigkeit unklar.

Von diesen rund 1100 Personen sind 680 nur geduldet, 340 haben eine Fiktionsbescheinigung, warten also noch auf eine Aufenthaltserlaubnis. Nur etwa 80 haben eine befristete Aufenthalts- oder schon eine Niederlassungserlaubnis. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheitert laut Stadt oft an der Vorlage (türkischer) Nationalpässe. In anderen Fällen fehle die Sicherstellung des Lebensunterhalts oder es gebe anhängige Strafverfahren.

Mhallami-Kurden wurden in Türkei doppelt diskriminiert

Tatsächlich handelt es sich bei den hier lebenden Libanesen wohl mehrheitlich um Mhallami-Kurden. Diese lebten ursprünglich in der Türkei, wo sie doppelt diskriminiert wurden: als Kurden unter Türken und als Arabisch sprechende Gruppe unter Kurdisch sprechenden Landsleuten.

In den 1920er bis 1940er Jahren wanderten viele von ihnen in den Libanon aus. Einige wurden eingebürgert, andere lebten dort als Staatenlose. Nachdem im Libanon 1975 der Bürgerkrieg ausbrach, flohen viele Mhallami-Kurden nach Deutschland.