Essen. Die Ratsfraktionen mahnen, die Notunterkünfte dürften keine Dauerlösung sein. Doch sie erkennen an, dass die Verwaltung in akuter Not handelte.
Die ganz große Empörung bleibt am Donnerstag aus: Die Nachricht, dass nun auch die Stadt Essen zwei Zeltdörfer aufstellen muss, wird von Ratspolitikern mit leiser Resignation zur Kenntnis genommen. Seit Wochen konnten sie beobachten, wie eine Nachbarstadt nach der anderen Flüchtlinge in Turnhallen oder Zelten unterbrachte.
„Auf solche Hilfskonstruktionen greift man republikweit zurück, da spielt Essen keine Sonderrolle“, sagt Udo Bayer, Fraktionschef des Essener Bürgerbündnisses. Bisher habe die Verwaltung vorbildlich auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagiert, vorhandene Gebäude genutzt, Asylbewerber in Wohnungen vermittelt. „Wichtig ist, dass die Leute ein Dach über dem Kopf haben.“
Während Bayer auf die weltpolitische Lage verweist, sieht die Grüne Christine Müller-Hechfellner auch hausgemachte Versäumnisse. Noch im September 2014 etwa habe die Ratsmehrheit eine vorsorgliche Anmietung von Containern abgelehnt. Stattdessen baue man nun Flüchtlingsdörfer à 400 Plätze – auf früheren Sportplätzen am Volkswald in Heidhausen, an der Planckstraße in Holsterhausen oder an der Altenbergstraße im Nordviertel. Notlösungen, die keinesfalls von Dauer sein dürften. „Wir entfernen uns immer weiter von guten Lösungen.“
Ähnlich sieht das die Ratsfraktionschefin der Linken, Gabriele Giesecke: 400 Leute an einem Standort unterzubringen sei heftig; und dass sich 70 Menschen eine Unterkunft von 250 Quadratmetern teilen sollen, „verbietet sich“. Selbst mit Raumteilern und guter Sozialbetreuung sei das kaum zu stemmen, moniert auch Kathrin Richter von Pro Asyl. „Die Menschen sind ja traumatisiert, haben eine schwere Flucht hinter sich.“ Da die Zeltdörfer in wenigen Wochen bezugsfertig sein sollen, müsse man rasch die Bürger informieren und die Betreuung der Flüchtlinge organisieren. „Uns hat die Stadt nicht gefragt.“
"Keine Wunschlösung"
Der Oberbürgermeister habe für den heutigen Freitag zunächst Kirchen, Diakonie und Caritas eingeladen, sagt Stadtsprecherin Nicole Mause. Nach den Ferien komme der stadtweite Runde Tisch zusammen, an dem auch Pro Asyl sitze.
Im übrigen werde es in den zeltartigen Unterkünften Trennwände geben, um die Privatsphäre von Familien zu wahren. Zu den Kosten für die Flüchtlinsgsdörfer sagt die Stadt mit Hinweis auf laufende Verhandlungen mit European Homecare (EHC) nichts Genaues: Das Essener Unternehmen wird eine Paketlösung mit Unterkunft, Betreuung und Verpflegung liefern. Zum Vergleich: In den schon von EHC betreuten Behelfseinrichtungen rechnet die Stadt mit monatlichen Kosten von 1400 Euro pro Person; darin ist auch eine Mietumlage enthalten. Mehr verrät auch EHC nicht. Doch während Ordnungsdezernent Christian Kromberg bei der Vorstellung der Dörfer das Reizwort Zelt umschiffte, sagt EHC-Sprecher Klaus Kocks offen: „Das sind klimatisierte Zelte.“ Stabil und winterfest.
Aber „keine Wunschlösung“, so formulieren wortgleich SPD-Ratsherr Karl-Heinz Endruschat und CDU-Fraktionschef Thomas Kufen. Letzterer sieht vor allem Land und Bund in der Pflicht, rascher über Asylanträge zu entscheiden und Abschiebungen schneller durchzuführen, besonders bei den quasi chancenlosen Flüchtlingen vom Westbalkan. „Deren Zahl sinkt“, wendet Endruschat ein: „Es kommen nun vermehrt Menschen aus den Krisenregionen der Welt – diese Welle konnte so niemand voraussehen.“
Das glaubt auch FDP-Fraktionschef Hans-Peter Schöneweiß und ist umso erleichterter, „dass die Turnhallen frei bleiben“. Das sei nicht nur wichtig für Vereins- und Schulsport – sondern auch für die Akzeptanz der Bürger.