Essen. . Die Altendorfer Schule gibt künftig weniger normale Stunden, sondern setzt verstärkt auf Selbstlern-Phasen, Werkstatt- und Projekt-Unterricht.
Die Gesamtschule Bockmühle in Altendorf, 42 Jahre alt, ist auch eine Förderschule, ohne, dass es dransteht. Erstens, weil die Schule seit fünf Jahren offiziell auch Kinder mit Behinderungen aufnimmt. Über 140 sind es schon. Zweitens: Schulleiterin Julia Gajewski spricht von „grauer Inklusion“. Das sind Kinder, die mit einem Notenschnitt von vier von der Grundschule zur Bockmühle kommen – und bei denen dann erst im Nachhinein offiziell festgestellt wird, dass sonderpädagogischer Förderbedarf besteht.
Bei zehn Prozent jeden Jahrgangs sei das so. Die Bockmühle hat acht Klassen pro Jahrgang, und am Ende verlassen die Schule immerhin zwischen 60 und 80 Jugendliche die Bockmühle dann doch mit dem Abitur. Die wenigsten kamen übrigens mit einer entsprechenden Empfehlung.
Die Bockmühle muss allen gerecht werden
Vom Abiturienten bis zum Förderschüler – die Bockmühle muss allen gerecht werden. „Die Heterogenität der Schüler wird zu einer immer größeren Herausforderung“, sagt Julia Gajewski. Und das, obwohl sie schon 15 Jahre an der Bockmühle ist, wo man sich früh einstellen musste auf die Verschiedenartigkeit von Kindern und Jugendlichen. Die Schule liegt in Altendorf, nicht in Bredeney.
Das Land teilt Schulen in Sozial-Kategorien ein, um die Ergebnisse von zentralen Prüfungen besser interpretieren zu können. Kategorie eins heißt „bürgerliche Gegend“, Kategorie fünf heißt Brennpunkt. Die Bockmühle ist fünf. „Wenn es sieben gäbe, wären wir sieben“, sagt Gajewski. „Es gibt zu viele Schüler, die wir mit herkömmlichen Methoden nicht mehr erreichen.“ Reto Stein, der Didaktische Leiter, gibt ein Beispiel: „Es kommen Kinder zu uns, bei denen müssen wir die vier Grundrechenarten neu einüben.“
Für die Schüler mit Behinderungen übrigens stehen gerade mal neun Sonderpädagogen zur Verfügung. „Wie sollen die die Kinder vernünftig unterrichten?“, fragt die Schulleiterin.
Die Schüler bekommen Selbstlernzeit
Das Haus revolutioniert deshalb seinen Unterricht, zumindest für ein Jahr probeweise, in den Jahrgängen fünf und sechs. Im August geht es los. Der klassische Fach-Unterricht (Lehrer spricht, Schüler hören zu) wird eingedampft – auf 40 Prozent der Zeit, sie nennen sich künftig „Impuls-Stunden“: „Das sind die Stunden in den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch, in denen der Lehrer etwas Neues einführt“, erklärt Reto Stein. Das Üben, das Anwenden, das Lernen sollen die Schüler künftig in Eigenregie übernehmen – als „Selbstlernzeit“. Kein verordneter Gleichschritt mehr, den die wenigsten mitgehen können, sondern „wir holen die Schüler da ab, wo sie stehen“, sagt Julia Gajewski. Mit entsprechendem Unterrichtsmaterial können die Schüler sich selbst einschätzen, entsprechende Checklisten finden Anwendung.
Das alles ist methodisch gar nicht so neu, doch die Konsequenz, mit der die Bockmühle Selbstlernen zum Programm macht, ist wohl beispiellos im Stadtgebiet. „Wir hoffen, den Schwachen damit zu helfen“, sagt Reto Stein. Fächer wie Naturwissenschaften oder Gesellschaftslehre werden künftig nur noch in Projekt- und Werkstatt-Arbeit vermittelt. „Unsere Lehrer müssen ein neues Rollenverständnis finden“, sagen Gajewski und Stein. „Am Anfang ist es sehr viel mehr Arbeit, doch wir sind sicher, dass es gut gehen wird.“ Dass das alles mit den zentralen Lehrplänen abgestimmt ist, versteht sich von selbst. Auch Noten wird es künftig geben. Nach einem Jahr will die Bockmühle entscheiden, ob die Revolution weitergeht.