Essen. Das geplante Alkoholverbot am Willy-Brandt-Platz in Essen ruft gemischte Reaktionen hervor. Kritiker fürchten, dass die Szene an einem anderen Ort trinkt. Eine Umfrage in der Essener Innenstadt.

Ein Alkoholverbot in der Essener Innenstadt – wie lässt sich das überhaupt durchsetzen? Das fragen sich viele Essener zur Zeit. „Es kommen so viele junge Menschen zum Feiern in die Stadt, die meisten mit dem Zug. Sie haben vorgetrunken und noch eine Flasche Bier in der Hand. Was sollen sie damit machen?“, überlegt Michel Becker.

Die Stadt erhofft sich von dem geplanten Alkoholverbot, dass die harte Trinkerszene vom Willy-Brandt-Platz verschwindet. Die bevölkert das Eingangstor zur Innenstadt, was von Essenern wie von Besuchern immer wieder kritisiert wird: Die Szene biete keinen schönen Anblick und erschwere den Zugang zum U-Bahn-Fahrstuhl. Scherben am Boden und Gestank rund um einen als Freiluft-Klo genutzten Notausgang sorgen für Unmut. „Was sollen Touristen denken, wir sind doch Kulturhauptstadt“, sagt Ursula Kindsgrab.

Die Betroffenen fragen: „Wo sollen wir denn hin?“

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Von Frank Stenglein und Thorsten Schabelon

Andererseits stellen Betroffene die Gegenfrage: „Wo sollen wir denn hin?“ So klagt Jessica Hacke, sie seien schon oft von A nach B gescheucht worden. „Viele von uns haben keine Familie, hier treffen wir unsere Bezugspersonen. Der Platz ist zentral, wir kommen hier gut hin.“ Für Getränke im Biergarten reiche ihr Budget nicht. „Zudem gibt sich nicht jeder von uns die Kante. Die Leute brauchen vor uns keine Angst zu haben.“

Die Szene braucht Hilfe, meint auch Anna Bartholomé: Ein Verbot würde das Problem nur in andere Teile der Stadt verlagern.

Das sagen Passanten zum geplanten Alkoholverbot: 

"Ein Alkoholverbot ist keine Lösung. Man sollte den Menschen doch eher helfen. Sie haben alle ihre Hintergründe und Biografien, wer weiß, was sie durchgemacht haben – und warum sie dort sitzen. Ich möchte mich nicht darüber erheben. Außerdem ist mir aufgefallen, dass dort immer mehr junge Menschen und Frauen sind.“ Anna Bartholomé

"Ich hoffe, dass sich die Szene dort auflösen wird. Allerdings müsste dann auch regelmäßig kontrolliert werden. Ich sitze im Rollstuhl und wenn ich dort entlang fahre, dann fühle ich mich teilweise sehr unwohl. Oft sind dort auch Hunde und das finde ich auch eher beklemmend, wenn da einer mal auf einen Passanten losgeht.“ Wolfgang Schröder

"Mit dem Alkoholverbot wird die Sache an sich kriminalisiert. Was ist dann mit Junggesellenabschieden, die dort gefeiert werden, oder Festivalbesucher, die dort ankommen? Das ist der falsche Weg. Man sollte die Menschen lieber motivieren, ihre Zeit anders zu verbringen, ihnen Anreize geben. Und andere Räume für sie schaffen.“ Michel Becker

"Ich finde, dass etwas getan werden muss. Essen ist eine Weltkulturerbestadt und das Bild, dass sich am Willy-Brandt-Platz ergibt, wirft ein schlechtes Bild auf unsere Stadt. Die meisten Touristen kommen mit dem Bus oder mit der Bahn zu uns – und das ist das erste, was sie sehen.“ Renate Dangschat

"Wo sollen wir denn hin? Früher saßen wir auf der anderen Seite des Bahnhofes. Wir werden einfach immer von A nach B gescheucht. Die meisten Menschen vergessen, dass wir nur 300 Euro pro Monat zur Verfügung haben, da können wir uns kein Bier für vier Euro im Biergarten leisten.“ Jessica Hacke

"Ich glaube nicht, dass ein Verbot durchsetzbar ist, beziehungsweise etwas an der Situation ändern würde. Dafür wurde die Szene schon zu oft umgesiedelt. Erst traf sie sich am Porscheplatz, dann an der Kirche und später hinter dem Bahnhof.“ Herbert Hagenkötter

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"Man sollte auf jeden Fall gegen die Szene dort vorgehen. Dafür ist sie zu präsent. Ich habe eine kleine Tochter und ich finde, dass die Menschen keine guten Vorbilder sind. Das zeigt unseren Kindern ja, dass das sich Betrinken Spaß macht und etwas Gutes ist.“ Nicholas Biney

"Ein Verbot bringt nur etwas, wenn dort auch regelmäßig kontrolliert wird – und das heißt nicht, das einmal am Tag dort eine Streife vorbeifährt – immer zur selben Zeit. Aber ich frage mich, wo die Stadt das Personal dafür hernehmen möchte, immerhin ist Essen pleite.“ Claudia Lißeck

"Ich komme ursprünglich aus den Niederlanden und war überrascht, dass man hier auf der Straße trinken darf. Ich denke, dass ein Alkoholverbot nicht das Schlechteste ist, wobei ein partielles Verbot das Problem ja nur in andere Stadtteile verschieben würde.“ Michael Reverda