Essen. Jelena Ivanovic ist ausgebildete Tänzerin, Choreografin, Festival-Gründerin, Tango-Dozentin, Impulsgeberin. Nun startet ein neues Projekt im Maschinenhaus

Beweglich bleiben. Für Menschen, die mit Tanz zu tun haben, klingt das eigentlich ganz selbstverständlich. Für Jelena Ivanovic aber bedeutet das mehr als die Dehnbarkeit der Muskeln, die Geschmeidigkeit der Glieder. Mit ihrer gedanklichen und organisatorischen Beweglichkeit ist die 38-jährige Choreografin und Kulturmanagerin so etwas wie ein Impulsgeber und eine frische Brise in der freien Essener Szene geworden. Und das Zusammengehen und Vernetzen der Institutionen choreografiert sie dabei mit schönster Selbstverständlichkeit.

Das traditionsreiche Folkwang Kammerorchester hat sie vor kurzem dafür gewonnen, den zeitgenössischen Tanz in die Villa Hügel zu holen. Und im Schauspiel Essen hat sie die sonst eher literarisch genutzte Versuchsreihe „Freischuss“ gerade mit einem Stück fast ohne Worte bespielt. Ende des Monats öffnet sie den „Wa(h)rteraum“ im Maschinenhaus der Zeche Carl. Mit einem Projekt, das die gängigen Erwartungen und Bühnenregeln so selbstverständlich kontern wird wie viele ihre Projekte. Das prominenteste ist fraglos die Reihe „638 Kilo Tanz“, die sie 2006 zusammen mit Sabina Stücker ins Leben gerufen hat.

Kultur mit kulinarischer Beilage, das schien gerade beim der Askese nicht abgeneigten Tanz ein Wagnis. Aber Ivanovic ist jemand, der den Tanz buchstäblich auf die Beine stellen will, weniger verkopft, verzopft und abstrakt als vielleicht anderswo. Es mag auch am eigenen Werdegang der 1976 in Essen geborenen Künstlerin liegen, die zwar als Kind zum Ballett ging, aber weit davon entfernt war, als junge Pina Bausch durchzugehen. „Ich war weder besonders gelenkig noch elegant“, lacht die 38-Jährige, deren direkter Energie und uneitlem Charme man sich kaum entziehen kann. Aber irgendwann ist sie dann in die „Kiss me Kate“-Produktion von Hansgünther Heyme geraten. „Diese Welt, die hat mich aufgesogen“, erinnert sich Ivanovic noch heute. Mit 17 hat sie dann doch noch im Gymnasium Werden vorgetanzt – und als eine der wenigen den Abschluss gemacht.

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„Mein Vorteil war immer mein Dickkopf“, sagt Ivanovic heute. aber auch so ein Dickkopf will manchmal durch die falsche Wand. Sie ist als Tänzerin einen weiten Weg gegangen, von Holland über einen Eleven-Platz im Aalto-Ballett nach Gelsenkirchen und weiter nach Rostock, Braunschweig, Italien, New York, Dresden: neue Choreografen, neue Aufgaben, andere Tanzstile, aber nirgendwo ein wirkliches Ankommen. Nach ein paar Jahren wusste Ivanovic: „Das bin ich nicht.“

Sie beginnt, für andere Choreografen zu organisieren, und hat eigentlich schon mit dem Tanz abgeschlossen, als die Liebe sie zurück aufs Parkett führt. Mit ihrem Mann führt sie in der Schweiz einige Jahre lang eine Tangoschule. Als die Liebe scheitert, orientiert sie sich in die alte Heimat Essen zurück. Und fühlt sich, nach jahrelanger Wanderschaft, inzwischen sogar ein bisschen angekommen, obwohl sie als international gefragte Tango-Dozentin viel unterwegs ist, von Singapur bis Budapest. Eine Essenerin, die ein Festival wie „638 Kilo Tanz“ auch deshalb gegründet hat, damit Kollegen, Folkwang-Absolventen und junge Choreografen, im Ruhrgebiet Orte zum Zeigen und Reifen finden. „Es kann ja nicht jeder nach Berlin gehen.“

So ist sie: initiativ, auch impulsiv, integrativ. „Das Klischeemigrationskind“, wie sie manchmal selber über solche Formeln lacht. Und dann doch staunt, wie sich alle in ihren angestammten Rollen und Klagen eingerichtet haben. Die freie Szene nimmt sie da nicht aus, der sie manchmal auch ein bisschen mehr Beweglichkeit wünschen würde - um auf das Publikum zuzugehen, neue Orte zu finden. Im Wa(h)rteraum will sich Jelena Ivanovic jedenfalls nicht einrichten. Den bringt sie dann lieber selber auf die Bühne.