Essen. Am Schauspiel Essen hat das Jugendstück „Ich rufe meine Brüder“ Premiere. Es erzählt von Terrorismusangst und den Folgen der Generalverdächtigung
Der Abend beginnt mit einem lauten Knall. In der Innenstadt von Stockholm explodiert eine Autobombe. Menschen sterben. Dann folgt der öffentliche Aufschrei. Mit „Ich rufe meine Brüder“, einem Jugendstück zum Thema Terrorangst, hat Jonas Hassen Khemir, Autor mit schwedisch-tunesischen Wurzeln, auf das Attentat von Stockholm 2010 reagiert.
Nach Stockholm kamen Boston, Paris und immer neue dramatische Ereignisse, die verfestigt haben, was dieses Stück hinterfragt: Den Generalverdacht gegen das Fremde, die diffuse Angst vor dem Anderen. Am kommenden Sonntag, 26. April, hat das Jugendstück in der Box des Schauspiel Essen Premiere.
Normalität ist Ausnahmezustand
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Amor. Ein Heranwachsender wie viele, ein Junge mit Migrationshintergrund. Student und Freund, Cousin, Enkel. Unschuldig, aber bald schon nicht mehr frei von Paranoia. Denn die Bilder, die da draußen als Vorurteile herumschwirren, scheinen sich plötzlich in seinem Kopf festzusetzen. „Weißt du, ich bin nicht sicher, wie viel sich nur in meinem Kopf abspielt“, räumt Amor in einem der Telefongespräche mit seinen Freunden Shavi oder Valeria ein, die das Stück strukturieren. Da ist die Normalität für Amor schon lange der Ausnahmezustand. Allein das Wissen, aufgrund seines Äußeren als potenzieller Täter zu gelten, lässt ihn selbst zum Opfer werden.
Über den Autoren
Jonas Hassen Khemiri, 1978 in Stockholm als Sohn einer Schwedin und eines Tunesiers geboren, gehört zu den bekanntesten zeitgenössischen Autoren Schwedens. Weitere Stücke von ihm sind „Invasion!“ oder „Wir sind Hundert.“
Für die Premiere von „Ich rufe meine Brüder“ am Sonntag, 26. April, 19 Uhr gibt es noch Restkarten. Weitere Vorstellungen: 19. Mai (ausverkauft), sowie am 21. und 27. Mai , 25. Juni, jeweils 19 Uhr. Tickets unter 8122-200.
Andere deutschsprachige Bühnen haben Amor durchaus mit migrantischen Schauspielern besetzt. Aber ist das wichtig für eine Inszenierung, die doch gerade mit den Klischees im Kopf , mit den Kategorisierungen aufräumen will, die keine Wahrnehmungsmuster reproduzieren, sondern hinterfragen will? Regisseurin Katarzyna Maria Noga und Dramaturg Florian Heller haben sich anders entschieden. In der Box des Schauspiel Essen stehen vier deutschstämmige Ensemblemitglieder auf der Bühne, die sich die Spieler-Ebene teilen, so will es die Vorlage.
Geschickter Umgang mit Erwartungen
Man kann solche Entscheidungen pragmatisch finden, denn deutsche Stadtheater-Ensembles sind – jenseits von Berlin – immer noch keine Tummelplätze unterschiedlicher Hautfarben und Nationen. Man kann es auch als geschickten Umgang mit Erwartungen verstehen. „Was tut man Menschen an, wenn man einfach eine Schablone über sie legt?“ Diese Frage hat Katarzyna Maria Noga besonders interessiert.
Am Ende geht es freilich nicht nur um den Krieg im Kopf, sondern ganz lebensnah und auch sehr komisch um die Ängste und Unbehaglichkeiten von einem, der gerade erwachsen wird. Dramaturg Florian Heller ist sich sicher, dass das Publikum ab 15 Jahren den Stimmungen der Hauptfigur problemlos folgen kann, auch wenn man manchmal nicht so genau weiß: Befindet man sich nun gerade in Amors Kopf oder mitten in der Realität? Die wird im Bühnenbild von Anne Koltermann immer wieder umgestülpt. Am Ende sogar mit einem actiongeladenen Showdown.