Essen. Bernd Freytag und Marc Polscher bringen„Wolken.Heim“, Elfriede Jelineks Heimatmonolog, auf die Bühne. Ein Gespräch über Kleist, Pegida und Teamarbeit.
„Wir sind wir“, heißt es bei Elfriede Jelinek. Und im Laufe des Abends wird man dieses „Wir“ noch hunderte Male hören. Wir sind das Volk, das der Dichter und Denker natürlich. Aber wie wurde aus den von Jelinek zusammengefügten Gedanken-Extrakten die Saat, aus der der deutsche Nationalismus und Faschismus erwachsen sollte?
Dieser Frage wollen Bernd Freytag und Marc Polscher ab Sonntag in der Casa des Schauspiels Essen mit der Inszenierung von Elfriede Jelineks „Wolken.Heim“ nachgehen. Die bissige und satirische Collage mit Texten deutscher Geistesgrößen von Hölderlin, Heidegger Fichte und Kleist bis hin zu Briefauszügen der Rote Armee-Fraktion (RAF) stammt schon aus dem Jahre 1988 und doch haben sich die Theatermacher ganz bewusst für diesen älteren Identitäts- und Heimatmonolog der Literatur-Nobelpreisträgern entschieden, der politische Phänomene abbildet, die zu jeder Epoche bis heute ihre Gültigkeit hatten. „Wir nennen es das deutsche Trauma“, sagt Polscher. Und wer in den vergangenen Wochen die Diskussion um Pegida in Dresden verfolgt hat, der weiß, wovon beide reden. „Als Theatermacher denkt man zuerst natürlich: toll! Aber jetzt proben wir so lange und Pegida ist schon wieder verschwunden, jedenfalls in den Medien.“ Gut also, dass Jelinek das Stück exemplarisch für etwas hat stehen lassen, „ohne es direkt in die Aktualität zu ziehen“, sagt Polscher, „das ist auch unser Ansatz.“
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Vier Ensemble-Mitglieder und ein zwölfköpfiger Frauen- und Männerchor stehen auf der Bühne. Viele Gesichter wird man aus der „Rote Erde“-Produktion kennen, die Freytag mit Volker Lösch in Essen auf die Bühne gebracht hat. Diese Bühnen- und Sprech-Erfahrung war für ihn Voraussetzung, denn der Jelinek-Text stellt höchste Anforderungen. „Wie Etüden“ beschreibt Freytag die Vorlage. Deshalb treten der Regisseur, der bereits in Dresden mit dem Bürgerchor gearbeitet hat, und der Komponist und Musiker Marc Polscher in Essen als Regieteam auf. Gemeinsam wollen sie die unvergleichliche Jelinek-Sprachmelodie wie ein Oratorium zum Klingen bringen. „Wir arbeiten mit allen Einsatzmöglichkeiten der Stimme, Dynamik, Klang“, erklärt Polscher.
Grüne Lodenjacken und Jägerhütchen
Das Regie-Doppel ist zum einen eine Absage an tradierte Theater-Hierarchien, gleichzeitig auch die Utopie einer neuen, dialogisch-ausgerichteten Arbeitsprozesses und nicht zuletzt ein Luxus im immer stärker unter Produktionsdruck stehenden Theaterbetriebs. „Man kann nur den Hut ziehen vor dem Haus, wie die das stützen“, lobt Freytag die „außergewöhnlich guten Produktionsumstände“ in Essen. Christine Gottschalk hat dazu das Bühnenbild gebaut, das an die Neue Wache in Berlin erinnert, ein langgestreckter Arkadengang, in dem die bleichen Geister der Vergangenheit erscheinen.
Sie tragen grüne Lodenjacken und Jägerhütchen, und was sie sagen, schlägt den Bogen von der Romantik bis in den deutschen Herbst. Als „atemberaubend präzise“ beschreibt Freytag die Vorlage. Und anders, als es bei Jelineks wuchernden Textflächen üblich ist, seien „kaum Striche zu machen“. „Wir nehmen den Text und seine Form sehr ernst“, sagt Freytag. Grotesk darf es trotzdem zugehen.