Essen. Ein Mann kämpft um die Rückgewinnung seiner Ehre: Bisweilen erstaunlich offen sprach Christian Wulff vor Schülern in Essen über die dramatischen Phasen seiner Amtszeit.
Christian Wulff (55), Bundespräsident a.D., kämpft um seine Reputation. Er tut das manchmal vorsichtig und manchmal in aller Deutlichkeit. Vor 200 Oberstufenschülern des Carl-Humann-Gymnasiums in Essen-Steele sprach er am Dienstagmorgen, es ging recht ausführlich um Wulffs bedeutenden Satz vom Oktober 2010, der Islam gehöre auch zu Deutschland. Es ging aber auch, und hier war Wulff zeitweise überraschend offen, um die beispielslosen Begleiterscheinungen seiner Amtszeit, die mit dem Rücktritt endete.
Es war ein Schüler, der sich nach mehr als einer Stunde Vortrag und politischer Diskussion die Frage traute, wie er, Wulff, heute zur Bild-Zeitung stehe, und Wulff antwortete erst zögerlich, dass er sich, irgendwann mal, eine Bilanz wünsche, in der deutlich werde, dass viele Beteiligte Fehler gemacht haben. Er, Wulff, auch: „Dass man auf bestimmte Mailboxen nicht spricht“, sagte Wulff. Aber auch: „Dass bestimmte Medien deutlich übers Ziel hinausgeschossen sind. Dass auch die Justiz Fehler gemacht hat, und die Politik sowieso, die ist ja damals komplett abgetaucht.“
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Wie Christian Wulff heute lebt
Wie er, Wulff, heute lebe, möchte ein Schüler wissen, und Wulff berichtet, dass er seine Tätigkeit als Anwalt wieder aufgenommen habe und noch diverse Ämter bekleide, Schirmherrschaften und so weiter, „das Leben geht weiter.“
Doch zwischendurch wird erkennbar, dass Wulff noch mit der Aufarbeitung seiner öffentlichen Demontierung beschäftigt ist, zum Beispiel, wenn er Schüler ermuntert, Fragen zu stellen: „Seit damals wundere ich mich über keine einzige Frage mehr, die mir gestellt wird.“ Er berichtet auch von einer Begegnung mit dem Alt-Satiriker Dieter Hallervorden, der ihm damals, „in der Zeit, als ich große Probleme hatte“, aufmunternd zusprach: „Niedermachen ist immer einfach“, soll Hallervorden zu ihm gesagt haben, „viel schwerer ist das Mitmachen.“
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Nach seinem spektakulären Abtritt habe er viel gelesen, „zum ersten Mal auch Wallraff, seine konspirative Arbeit bei der Boulevardpresse“, und auch Bölls Klassiker „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“: „Die Parallelen zu meinem Fall“, konstatiert Wulff, „sind deutlich.“
Kindheit in Osnabrück
Recht persönlich wird Wulff auch, wenn er von seiner eigenen Kindheit in Osnabrück erzählt, der Vater Protestant und SPD-Mann, die Mutter katholisch-konservativ, die Eltern trennten sich, da ist Wulff gerade mal zwei Jahre alt: „Ich war früh gezwungen, mir eine eigene Meinung zu bilden.“
Wulff erhält spontanen Applaus, als er sagt: „Ich bin sicher, dass die Geschehnisse in meiner Amtszeit mit etwas zeitlicher Distanz wesentlich anders bewertet werden als noch vor zwei Jahren.“