Essen. Als absolutes Wunschkind beschreibt das Ehepaar Fischer aus Essen seinen Sohn Noah (Namen geändert). Doch weil der Neunjährige ein Pflegekind ist, werden sie im Alltag eng vom Jugendamt begleitet. Nicht immer empfinden sie das als hilfreich.
Wenn das Jugendamt dieser Tage wieder Pflegeeltern sucht, können Bettina und Stefan Fischer nur zuraten: Ihr neun Jahre alter Pflegesohn Noah (alle Namen geändert) ist ein echtes Wunschkind, „ein toller Junge“, wie beide sagen. Als weniger toll erlebt das Ehepaar die Tatsache, dass ihr Familienleben auch nach fünf Jahren noch eng von Amt und leiblicher Mutter begleitet wird.
Denn während Adoptiveltern leiblichen Eltern rechtlich gleichgestellt sind, haben Pflegeeltern eingeschränkte Rechte. Als die Fischers sich beim Jugendamt um ein Kind bemühten, waren ihre Chancen auf eine Adoption wegen ihres Alters nicht besonders hoch. Umso mehr freuten sie sich, als sie den vier Jahre alten Noah als Dauerpflegekind aufnehmen konnten. Seine Mutter kommt aus dem Drogenmilieu, war mit Noah völlig überfordert. „Als er zu uns kam, war er aggressiv und unruhig. Ein wibbeliges Kind, dem jede Erziehung und Struktur fehlte“, erinnert sich Bettina Fischer. Doch der Junge sei intelligent, habe schnell aufgeholt und sei gut in seinem neuen Zuhause angekommen.
Nach einem halben Jahr freilich erhielt Noahs leibliche Mutter, die nun an einem Drogenersatz-Programm teilnahm, das Recht, ihren Sohn alle vier Wochen zu sehen. „Anfangs hat ihn das ziemlich verstört“, erinnert sich Bettina Fischer. Tatsächlich erleben viele Pflegekinder die „Umgangskontakte“ als verunsichernd, doch als die Fischers im Jugendamt ihre Sorgen schilderten, fühlten sie sich abgebügelt. „Eine Mitarbeiterin sagte: ,Sie betreuen den Jungen nur im Auftrag des Jugendamtes. Aber Sie können sich wohl nicht damit abfinden, dass er eine leibliche Mutter hat und Sie bloß die Pflegemutter sind.“
Die Stadt sucht Familien für Pflegekinder
Wer sich vorstellen kann, ein Pflegekind vorübergehend (Bereitschaftspflege) oder langfristig (Dauerpflege) aufzunehmen, kann sich beim Info-Termin am Mittwoch, 28. Januar, 18-19.30 Uhr, in der Volkshochschule am Burgplatz (Raum 1.02) informieren. Dort geben Barbara Paul und Heike Weber vom Pflegekinderdienst im Jugendamt Auskunft. Anmeldung: 88 51 540.
In Dauerpflegefamilien sollen die Kinder bleiben und aufwachsen; selten kommt es in den ersten drei Jahren zur Rückkehr zu den leiblichen Eltern, sagt die Leiterin des Pflegekinderdienstes, Ute Ducrée. Sie betont: „Wir tun alles, um die Pflegefamilien zu stützen.“ Wenn es trotzdem Probleme zwischen Pflegefamilie und Mitarbeitern des Jugendamtes gebe, könne die Familie die Leitung ihrer Bezirksstelle einschalten, damit diese vermittelt.
Kontakte zur leiblichen Familie möglich
Als verletzend empfand Bettina Fischer die Bemerkung. „Wenn die Kollegin das gesagt haben sollte, ist das eine recht unglückliche Formulierung“, sagt auch Ute Ducrée, die den Pflegekinderdienst im Jugendamt leitet. Sie stellt jedoch klar, dass leibliche Eltern einen Rechtsanspruch auf Treffen mit den Kindern haben, „außer in Extremfällen, etwa wenn es einen Missbrauch gab“. Allerdings habe sie schon erlebt, dass das Familiengericht selbst dann dem Elternwunsch Vorrang einräumte: „Da müssen wir gegen unsere Überzeugung dafür sorgen, dass ein Kind den Vater trifft, der es schwer misshandelt hat. Auch wenn es danach einnässt, nicht mehr schlafen kann, traumatisiert ist.“
In solchen Fällen kämpfe das Jugendamt dafür, dem Kind die Treffen zu ersparen, sagt Ute Ducrée. Grundsätzlich könnten die Kontakte zur leiblichen Familie aber hilfreich für das Kind sein: „Es muss sich später nicht mit dem Rätsel seiner Herkunft plagen.“ Darum sei es wünschenswert, dass die neue Familie einen möglichst normalen Lebensalltag hat, „die Pflegeeltern aber auch akzeptieren, dass ihr Kind auch andere Wurzeln hat“.
Für die Fischers ist das keine Frage, inzwischen hätten sich die Treffen mit der Mutter eingespielt. Sie wünschten sich nur, dass auch ihre Elternrolle gewürdigt werde; etwa dadurch, dass ihr Sohn ihren Nachnamen bekommt. „Doch auch das blockt das Jugendamt ab. Wir sollten lieber seinen Namen auf unser Türschild schreiben. Dabei sagt Noah immer: ,Ich bin ein Fischer.’“
Leibliche Mutter behält Sorgerecht
Das allein reiche jedoch nicht aus, erklärt Ute Ducrée: Eine Namensänderung könne nur vom Vormund oder von den leiblichen Eltern beantragt werden. Wenn Letztere Nein sagen, könne man das Familiengericht anrufen: „Aber da müssen Sie schon glaubwürdig darstellen, dass die Änderung des Namens dem Kindeswohl dient.“ Ein Nachweis, der nicht leicht zu führen sei.
Was dem Wohl ihre Kindes dient, können die Fischers eben nicht allein entscheiden. Das Sorgerecht hat bis heute die leibliche Mutter: Weil sie Noah damals aus freien Stücken in die Pflegefamilie gab, ist es ihr nie entzogen worden. Der Junge sei vernachlässigt gewesen, sagt das Jugendamt, Schlimmeres habe er nicht erlebt. Fischers wüssten gern Genaueres über die Vergangenheit ihres Sohnes, denn seit einiger Zeit berichtet der von früheren Übergriffen; nicht durch die Mutter, sondern durch jemanden aus ihrem Umfeld. Noah macht darum eine Therapie.
„Als er in die Schule kam, hat er sich mit seinem Verhalten oft ins Abseits katapultiert. Inzwischen hat er sich prima entwickelt“, sagt Bettina Fischer. Trotz aller Sorgen sind die Fischers so glücklich mit Noah, dass sie gern ein zweites Pflegekind aufnehmen würden. Doch auch hier bremse das Jugendamt. Ute Ducrée sagt dazu nur allgemein: „So sehr wir Pflegeeltern suchen, müssen wir in jedem Fall schauen, ob das erste Pflegekind schon sicher angekommen ist und wie es um die Belastbarkeit der Familie steht.“ Manchmal sei es einfach eine Frage der Zeit.